Opus 01 - Das verbotene Buch
war. Du hast doch das Buch bei dir?
Ja. Er schaute weiterhin nach draußen, wo die Bücherjäger sich unter den Bäumen nun eifrig besprachen, aber mit seinen Gedanken war er bei Klara. Und bei Kronus, der ihn in dem Glauben gelassen hatte, dass es vom
Buch der Geister
nur dieses eine Exemplar gab, das Original. Abgesehen von der Abschrift, die er an den Reichszensor in Nürnberg geschickt hatte und die von den Bücherjägern bestimmt längst vernichtet worden war. Aber das konnte so nicht stimmen – es musste mindestens eine weitere Kopie geben.
Wozu aber sollte er für die Rettung dieses Buchs sein Leben wagen – wenn es vielleicht sogar mehrere Abschriften davon gab?
Zeig es mir – bitte, Amos.
Er wandte sich um und schaute zum Tisch. Da liegt es.
Wie stolz du sein musst. Die Macht, die von ihm ausgeht – ich glaube, ich spüre sie bis hierher.
Und er selbst spürte doch genauso klar, dass sie sich nicht verstellte, dass sie ihm nichts vormachen wollte – trotzdem konnte er nicht aufhören, in der Wunde herumzubohren, die Argwohn und Eifersucht in sein Inneres fraßen. Argwohn gegenüber wem? Nein, dachte er rasch, es ist ganz ausgeschlossen, dass mich Kronus hinters Licht geführt hat. Und trotzdem musste er weiterbohren.
Sieht dein Exemplar so ähnlich aus wie das hier – schwarzes Kaninchenleder? Oder mehr wie die Abschrift, die Kronus zum kaiserlichen Zensor geschickt hat – in weißes Lammleder gebunden?
Amos, was ist denn los? Sie wirkte nun ziemlich durcheinander. Von was für einem Exemplar redest du denn überhaupt? Ich habe dieses Buch niemals vorher gesehen oder gar in Händen gehabt. Und ich glaube auch nicht, dass es auch nur eine einzige weitere Abschrift davon gibt.
Das ist nicht wahr, Klara. Du musst ja darin gelesen haben! Er hasste sich selbst für jedes einzelne Wort. Doch er konnte einfach nicht anders.
Stimmt nicht, antwortete sie. Mutter Sophia hat mir die Geschichten vorgelesen, aus losen Blättern – aus Briefen, nehme ich an, die sie von deinem … wie heißt er noch … von diesem Kronus bekommen hat. Wahrscheinlich sollte sie an mir die Wirkung ausprobieren .
Darauf fiel ihm nicht gleich eine Antwort ein. Mit einem Mal kam er sich ziemlich blöd vor, weil er so eifersüchtig geworden war. Und wie hatte er auch nur einen Moment lang glauben können, dass Kronus ihn hintergangen hätte? Nein, er hatte es ja nicht geglaubt – er hatte nur für die Dauer eines Wimpernschlags überlegt, ob das überhaupt möglich wäre.
Sein Blick haftete noch immer auf dem
Buch der Geister
. Es lag auf dem kleinen Steintisch, wie er es vorhin zurückgelassen hatte – die letzte Seite aus der zweiten Geschichte aufgeschlagen. Welche magischen Kräfte die dritte und die vierte Geschichte erweckten, hatte Kronus ihm nur vage angedeutet, aber es musstenungeheure Kräfte sein. Sonst hätte ihn der weise Mann sicher nicht so eindringlich davor gewarnt, die dritte Geschichte –
Vom Felsen, der ein Fenster war
– zu lesen, bevor er die Gefühls- und Gedankenmagie wirklich beherrschte.
Wer ist Mutter Sophia? , fragte er noch einmal.
Ach, Amos. Klara konnte mit ihrer Gedankenstimme sogar seufzen. Wenn ich an sie denke, wird mir immer so schwer ums Herz. Sie hat mich aufgenommen, als meine Eltern beide nicht mehr am Leben waren. Mutter Sophia ist die Äbtissin des Klosters Mariä Schiedung in Nürnberg – und bei ihr bin ich aufgewachsen, bis sie vor über einem Monat von der Inquisition verhaftet worden ist . Sie unterbrach sich und Amos spürte, wie sehr die Erinnerung sie mitnahm. Kurz vorher , fuhr sie schließlich fort, hat Mutter Sophia mir noch gesagt, dass du bald schon auf geistigem Weg mit mir Verbindung aufnehmen würdest. »Er heißt Amos«, hat sie gesagt, »und wenn er das Buch bei sich hat, ist er der Auserwählte.«
Der Auserwählte.
Das Wort hallte in Amos nach wie ein Gongschlag. Es klang großartig und beunruhigend, erhaben und bedrohlich zugleich. Und während er dem Wort noch nachlauschte, krachte hinter und unter ihm ein Inferno los, ein Getöse wie von tausend Donnerschlägen, das selbst den steinernen Kammerboden unter ihm erzittern ließ. Ein metallisches Kreischen, dazu ein Splittern und Knirschen von Holz, und während Amos herumfuhr, dann wie erstarrt auf seinen Knien liegen blieb, wurde ihm klar, was da unten vorging: Die Bücherjäger schossen mit ihren Gewehren die Turmtür entzwei. Es war eine schmale Tür, aber aus schwerem Holz und mit Eisen beschlagen. Ein
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