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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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treten, aber bis dahin blieb ihnen noch etwas Zeit. Zeit, sich innerlich zu wappnen, dachte Amos, für seine Begegnung mit dem berühmten Magier Faust.
    Während Klara in einen der Erker trat und auf die erwachende Stadt hinuntersah, ging Amos zwischen den verblassten Wandgemälden auf und ab. Trithemius – Faust – Kronus: Immer klarer zeichnete sich für ihn ab, wie die Bruderschaft die Schaffung des
Buchs der Geister
vorausgeplant und bewerkstelligt hatte. Der »Bücherpapst« Trithemius hatte über viele Jahre die entlegensten Werke über uralte Überlieferungen und Geheimkünste beschafft und Abschriften davon zum einstigen Mühlhof senden lassen. Der Magier Faust hatte eigenes und überliefertes Erfahrungswissen aus der untergehenden Welt der fahrenden Zauberer und Wundermänner beigesteuert. Und Kronus schließlich hatte die Schätze aus diesen und bestimmt noch aus etlichen weiteren Quellen in seinen Geschichten für
Das Buch der Geister
zusammengeführt. Nur wie es ihm gelungen war, uralte Zauber- in vollkommen neuartige Erzählkunst umzuwandeln, das verstand Amos so wenig wie eh und je. Es blieb ein bewunderungswürdiges Rätsel, wie Kronus erschaffen konnte, was niemandem vor ihm gelungen war. Für Amos war er der größte Dichter, der je auf Erden gewandelt war, ein Wortzauberer, wie es noch keinen gegeben hatte und vielleicht erst in einem halben Jahrtausend wieder geben würde.
    Unvermittelt hielt er inne und blieb mitten im Zimmer stehen. Das Bild dort hinten an der Stirnwand, Klara – hast du es dir schon angesehen? Es erinnert mich an … Aber nein, das kann ja gar nicht sein.
    Schau du es dir an und zeige mir, was du siehst. Sie wandte ihm weiter den Rücken zu und blickte durchs Fenster hinaus.
    Amos ging auf das Gemälde zu. Es war teilweise so verblichen, dass man kaum mehr erraten konnte, was es einmal darstellen sollte. Die Farben bröckelten von der Wand, sie mussten vor sehrlanger Zeit aufgetragen worden sein. Aber einige Teile des Bildes waren noch besser erhalten, und je länger Amos es betrachtete, desto sicherer war er, dass er sich nicht getäuscht hatte. Die Stätte, die auf diesem Bild dargestellt wurde, war das heidnische Heiligtum Rogár mit seinem sanft ansteigenden Hain und den riesenhaften Buchen – sogar einige der Zeichen, die geheimnisvoll im Blattwerk aufschienen, erkannte Amos wieder. Ebenso die Bergkuppe und wenig darunter jenen waagrechten Felsspalt, der aussah wie ein großer, still lächelnder Mund.
    Aber es konnte ja nicht sein, dachte er dann wieder, dass auf diesem Bild Rogár zu sehen war. Das Gemälde war gewiss schon uralt. Dennoch zeigte es in seiner unteren Hälfte die Wächter von Rogár, wie sie vor einem christlichen Priester knieten, die Gesichter in frommem Entzücken zu ihm emporgewandt. Der Priester segnete sie und bespritzte sie mit Taufwasser, während in der oberen Bildhälfte weitere Priester oder Mönche geschäftig umherliefen. Sie hielten lodernde Fackeln in den Händen und damit setzten sie die heiligen Buchen der Heiden eine nach der anderen in Brand. Aus den Bäumen ganz oben bei der Kuppe schlugen bereits lichterloh die Flammen, doch die knienden Wächter konnten anscheinend vor Entzücken kaum fassen, dass sie von ihrem Götzendienst erlöst wurden und künftig den wahren und einzigen Gott der Christen anbeten durften. Und dies alles war wundersam und unbegreiflich – denn wie konnte Rogár vor Jahrhunderten zerstört worden sein, wenn Klara und er vor drei Tagen noch dort zwischen den uralten Buchen umhergelaufen waren und mit den Wächtern gesprochen hatten?
    Vollkommen durcheinander starrte Amos auf das Bild. Noch sehr viel rätselhafter waren die beiden Gestalten, die er nun in der Reihe der Knienden bemerkte. Das Grün in den Augen des jungen Wächters war verblasst und doch war es ganz zweifellos Klaras männliches Ebenbild, so wie die schlaksige Wächterin mit den schwarzen Locken sein eigenes Abbild war, nur eben mit weicheren, mädchenhaften Zügen.
    Oder sah er Ähnlichkeiten, wo gar keine waren? Zeigte das Bild vielleicht irgendeine andere heidnische Stätte, deren Wächter bekehrt worden waren, und er ließ sich nur von zufälligen Übereinstimmungen foppen?
    Ohne dass er es bemerkt hatte, war Klara neben ihn getreten. Nein, das muss Rogár sein, du täuschst dich bestimmt nicht. Und dieses Bild ist auch bestimmt schon Jahrhunderte alt, sieh nur, wie verblichen es ist. Aber das kann ja eigentlich nur bedeuten …
    Sie sah ihn

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