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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Hülle eben nur dazu, den eigentlichen teuflischen Inhalt zu verbergen.« Er machte wieder einen Schritt auf Hannes zu, entdeckte dann aber seinen Stuhl und sackte neuerlich darauf nieder. »So wie Champignon und Knollenblätterpilz auch nahezu gleich aussehen«, fuhr er fort, »obwohl der eine harmlos und sogar bekömmlich ist und der andere ein tödliches Gift enthält.«
    Mal schreiend, mal murmelnd, ließ sich Skythis nun des Langen und Breiten über »giftige und bekömmliche Dichtwerke« aus. Er litt offenbar noch immer an Fieber, sagte sich Hannes, und daserklärte zumindest sein sonderbares Benehmen, die entzündeten Augen und den beängstigenden Rededrang. Doch dieses ungeheuerliche Gewölbe, das Skythis offenbar seit vielen Jahren heimlich unterhielt, ließ sich mit einem kurzzeitigen Fieberschub sicher nicht erklären.
    Die Kunst bestand darin, führte der Unterzensor schreiend aus, von einem erdichteten Schriftwerk gerade so viel zu kosten, dass man das möglicherweise enthaltene Gift herausschmecken konnte, ohne sich selbst an Geist oder Seele zu versehren. Dieses Gift war nichts anderes als die magisch-dämonischen Zutaten, die der Verfasser seinem Machwerk beigemischt hatte, ähnlich einem Meuchelmörder, der den tödlichen Sud von Bilsenkraut und Engelstrompeten in übermäßig gesüßten Brei einrührt. Es war ein Gift, das den menschlichen Geist benebelte, seine Urteilskraft lähmte, um stattdessen die humpelnde, krummbucklige Stiefschwester des Verstandes aufzuwecken und zu den widerlichsten Untaten aufzustacheln. Und diese Missgeburt war nichts anderes als die Einbildungskraft, diese schieläugige Buhlin des Teufels, die dem Leibhaftigen willig dabei half, den Verstand durch schamlose und gotteslästerliche Vorspiegelungen in den Irrsinn zu treiben, sodass er nie mehr imstande sein würde, die harmonische Schönheit der göttlichen Schöpfung zu sehen und zu begreifen.
    Seine atemlos hervorgeschrienen Anklagen untermalte Skythis mit Faustschlägen auf das wacklige Pult. Hannes hätte wohl längst die Flucht ergriffen, wenn er nur gewusst hätte, wie er aus diesem Kerker entschlüpfen könnte. Aber gleichzeitig hing er gebannt an Skythis’ Lippen, um nur kein Wort von dem zu versäumen, was ihm der Unterzensor da Ungeheures offenbarte.
    Alles wäre sehr viel einfacher, fuhr Skythis fort, wenn sich der Oberste Zensor nur endlich dazu ermannen könnte, grundsätzlich alle ausgedachten und erdichteten Werke zu verbieten. Aber bis es so weit war, musste Skythis immer aufs Neue seine geistige Unversehrtheit und sein Seelenheil aufs Spiel setzen, um als Vorkoster zu prüfen, ob ein Schriftwerk mit Satansmagie vergiftetwar. Glücklicherweise hatte er sein Lesegespür im Lauf der Jahre so sehr verfeinert, dass er es fast immer schon nach Überfliegen einiger Seiten herausschmecken konnte, wenn ein Dichtwerk mit jenem Gift getränkt war, das die Einbildungskraft aufstachelte und die Fantasie der Leser auf höllische Irrwege lenkte.
    »Du hast es selbst oft genug erlebt, Johannes«, wandte er sich direkt an seinen Hilfsschreiber, »dass die Hauptzensoren über meine Verbotsanträge hinweggehen, wie unwiderlegbar die auch begründet sein mögen. Nun, in solchen Fällen bleibt mir nichts anderes übrig, als dieselbe Beute eben ein weiteres Mal zur Strecke zu bringen.« Er breitete die Arme aus und deutete auf die Bücher hinter den Gittern. »Der Oberste Zensor gibt die Dämonen frei und ich fange sie wieder ein – so einfach ist das.«
    Hannes wusste überhaupt nicht mehr, wo ihm der Kopf stand. Er bewunderte den Mut des Unterzensors, der anscheinend auf eigene Faust Manuskripte jagte. Gleichzeitig wurde ihm immer unheimlicher zumute, doch stärker als alles andere war seine Neugierde. Warum sperrte Skythis Hunderte Handschriften in seinem Keller ein? Weshalb bewachte er sie auch noch selbst als Bücherkerkermeister, anstatt sie schlichtweg zu vernichten, wie er es in seinen Gutachten doch regelmäßig empfahl?
    Möglichst unauffällig näherte sich Hannes einer Gitterwand und spähte in die Mauernische dahinter. Die Eisenstäbe saßen so eng nebeneinander, dass nicht einmal ein Kind hätte hindurchgreifen und einen der Folianten oder auch nur einzelne Blätter herausfischen können.
    Rasch entzifferte Hannes einige der Titel auf den ledernen oder hölzernen Buchrücken: Der Waldkönig … Reise ins Innere der Erde … Die Mondgeborenen … Doch kein einziger davon kam ihm bekannt vor.
    Was sollte das auch

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