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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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hob der Hauptmann neuerlich eine Hand.
    »Im Gegenteil, ihr Idioten.« Ein plötzliches Grinsen zog Höttsches Gesicht hinter dem grau gesträhnten Bart in die Breite. Er legte einen Zeigefinger vor seinen Mund und die Männer drängten sich noch enger um ihn und Amos. »Auf Geheiß des Ritters«, flüsterte er, »habe ich vor Jahren einen Notvorrat angelegt. Schwerter, Messer, Gewehre – was man so braucht, um die Sorgen einer Sommernacht zu vertreiben.«
    Mit wedelnden Armbewegungen scheuchte er die Männer zurück. Dann ging er neben der Steinbank so behände in die Knie, wie sein gewaltiger Bauch es erlaubte. Ächzend machte er sich an einer Steinplatte zu schaffen, die just dort in den Boden eingelassen war, wo sonst immer der Sessel des Ritters stand. Sie war mit zwei rostigen Eisenringen versehen und sah haargenau so aus wie die Platte, die Amos gestern früh im Ostturm seiner Schwester gezeigt hatte. Ohne sichtliche Anstrengung zog der Hauptmann den Steindeckel heraus, nahm eine Kerze von der Bank und leuchtete in das Loch hinein.
    Daraufhin hob dort unten ein Pfeifen und Winseln aus tausend Kehlen an – Ratten, durchfuhr es Amos, Oda wäre vor Ekel und Grauen gestorben, wenn wir zusammen da hinabgekrochen wären.
    Oda. Seit jener Schrei so unvermittelt abgebrochen war, war es draußen still geblieben.
    Der Hauptmann winkte die Pagen zu sich her. »Macht schnell«, wies er sie leise an. »Schafft die Waffen hoch – und dann flugs die Luke wieder zu, bevor die Biester uns bei lebendigem Leib auffressen.«
3
    B
astians Gesicht war bleich und verzerrt,
als er die ersten Waffen aus dem Rattenloch nach oben reichte. In den Augen des jungen Pagen brannten Tränen. Soweit man es vom Saal aus sehenkonnte, stand Bastian dort unten bis zu den Knien im Rattengewimmel und die Nager sprangen unablässig an ihm empor.
    Zwei Männer nahmen die Schwerter und Gewehre entgegen, die anderen schlugen und traten mit allem, was sie zur Verfügung hatten, auf den hervorquellenden Rattenstrom ein. Anfangs nur mit Schemeln und Stiefeln, dann auch mit den Schwertern, die Bastian aus der fiependen, wimmelnden Tiefe emporwarf. Ratten krochen, sprangen, schnellten im dreifachen Dutzend an ihm hoch. Bastian wankte und weinte, während er unaufhörlich von den Bestien gebissen wurde. Und den beiden anderen Pagen musste es noch viel ärger ergehen: Sie krochen dort unten auf Knien und Ellbogen zwischen dem Waffenlager und dem Einstieg hin und her, ihre Köpfe nur notdürftig durch Lederfetzen vor den nadelspitzen Zähnen der Allesfresser geschützt.
    Die Arkebusen erwiesen sich als eingerostet, das Schießpulver war teilweise feucht geworden. Dennoch befahl Höttsche, die Gewehre zu reinigen und zu laden, denn für dreißig Mann gab es nur ein Dutzend Schwerter. Die Verwundeten und die Pagen erhielten lediglich Dolche, der junge Herr Amos zumindest ein Kurzschwert. Einige Männer murrten deswegen, aber der Hauptmann schnitt ihnen das Wort ab. »Wer meine Befehle nicht befolgt, bekommt dieses Schwert zu schmecken.«
    Mit offenen Mündern staunten alle die mächtige Waffe an, die der Hauptmann vor ihren Augen aus der Scheide gezogen hatte. Auf dem Griff prangte ein kunstvolles Wappen – eine Schriftrolle, mit blutroten Zeichen beschrieben, darunter zwei gekreuzte Schwerter, die sich in die Augen eines gräulichen Lindwurms bohrten. In dem Dreieck, das die gekreuzten Waffen unterhalb der Griffe bildeten, schwebte ein Auge, das den Betrachter durchdringend anzusehen schien.
    »Das Erbschwert der Ritter von Hohenstein.« Höttsche sprach mit gedämpfter Stimme, sodass seine Worte noch feierlicher klangen. »Eigentlich hat der junge Herr Anspruch auf diese Waffe –aber ich nehme an, Amos ist einverstanden, wenn ich sie an seiner Stelle führe.«
    Amos nickte, tief in Gedanken. Er starrte auf den Schwertgriff und versuchte, zu begreifen, was das alles zu bedeuten hatte: das versteckte Erbschwert mit dem nie zuvor gesehenen Wappen – Höttsches Rätselwort, dass ihn, Amos, als Einzigen keinerlei Schuld treffe – überhaupt die sonderbare Verwandlung des Hauptmanns, der in dieser Nacht ein ganz anderer geworden schien – und schließlich, das wohl größte Rätsel von allen: das in ein Dreieck gefasste Auge, das dem Amulett an seinem eigenen Hals so verblüffend ähnlich sah. Dem Amulett von Klara, die ihm in Nürnberg Kronus’ Brief entwendet hatte. Und die kurz darauf Odas Freundin geworden und von ihrer Tante Ulrika in das Waisenhaus zu

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