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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Wunsiedel geschickt worden war, nur eine halbe Tagesreise von hier.
    Gedanken- und Bilderfetzen tanzten vor Amos’ Geist vorüber. Wie passte das alles nur zusammen? Oder war es doch bloß ein blindes Wirbeln des Zufalls? Nein, das war ganz und gar unmöglich. Wie durch einen Nebel hindurch meinte er wiederum das Wirken eines vielgliedrigen Spielwerks zu erahnen, durch das sie alle nach einem wundersamen Plan bewegt und umeinander gedreht wurden.
    Höttsche hatte die Klinge längst zurück in die Scheide geschoben, doch mit seinen Gedanken war Amos noch immer bei dem Bildnis auf dem Schwertgriff. Es ähnelte dem offiziellen Wappen der Ritter von Hohenstein, aber nur auf den ersten Blick. Auf der Fahne, die Onkel Heribert zu gewissen Anlässen auf dem Dach seines Palas aufpflanzen ließ, waren gleichfalls die gekreuzten Schwerter zu sehen, deren Spitzen die Augen des besiegten Lindwurms durchbohrten. Doch anstelle der Schriftrolle schwebte dort ein Adler über den Schwertgriffen, und das Dreieck darunter war leer.
    Die drei Pagen, erklärte währenddessen der Hauptmann, würden bei den Verwundeten bleiben. Sie sollten sich alle sechs inAmos’ zertrümmerte Kammer zurückziehen und die Tür verrammeln. Die anderen aber würden sich in zwei Haufen zu beiden Seiten der Hoftür aufstellen. Auf sein Zeichen hin würden die Gewehrschützen das Feuer eröffnen und das Türschloss zerschießen. Ehe sich die Soldaten von ihrem Schrecken erholt hätten, sollten die Männer in zwei Wellen nach draußen stürmen und alles niedermachen, was sich ihnen in den Weg stellte. Die erste Welle sollte sich zum Verlies durchschlagen und den Ritter befreien, die zweite würde sich zum Ostturm vorkämpfen und die junge Herrin Oda der Gewalt der Purpurkrieger entreißen. Es klang alles ganz einfach, und Amos spürte, wie die Männer mehr und mehr von Kampfgeist und Zuversicht beflügelt wurden.
    Doch ebenso deutlich fühlte er, dass Höttsche seinen eigenen Worten nicht glaubte. Schulterklopfend ging der Hauptmann von einem zum anderen, munterte seine Männer auf, sprach ihnen Mut zu, erinnerte an frühere Schlachten, die sie auch schon siegreich überstanden hatten – doch er selbst schien jeden Siegesglauben verloren zu haben.
    Der junge Bastian führte einen der Verwundeten in Amos’ Kammer und versuchte dabei, sein Schluchzen zu unterdrücken. Der Mann hatte einen Armbrustpfeil in den Oberschenkel abbekommen und stützte sich schwer auf die schmalen Schultern des Pagen. Die beiden anderen Verletzten hatten Fleischwunden an ihren Schwertarmen erlitten und waren für den Kampf ohnehin nicht zu gebrauchen. Doch auch die drei Pagen waren von den Ratten übel zugerichtet worden. Ihre Hände und Arme, selbst Hals und Wangen waren von Bisswunden übersät.
    Sie verriegelten und verrammelten die Kammertür. Obwohl das Bodenloch längst wieder geschlossen worden war, wimmelten noch immer Dutzende Ratten im Saal umher. Unzählige grau befellte Kadaver lagen auf dem Boden verstreut.
    Höttsche hob seine linke Hand und gab das vereinbarte Zeichen.
    Zehn Arkebusen wurden gleichzeitig auf Schloss und Riegel abgefeuert – und mit rostigem Kreischen flog die Tür zum Burghof auf.
4
    D
ie ersten Räuber stürmten
über die Schwelle, doch die Purpurkrieger zeigten sich durchaus nicht überrumpelt: Aus dem Dunkel der Nacht schwirrte ihnen ein Hagel von Armbrustpfeilen entgegen. Noch in der Tür oder auf den Stufen davor stürzten ein halbes Dutzend Räuber zu Boden und versperrten den hinter ihnen andrängenden Männern den Weg. Und ehe sie die Gefahr richtig erkannt hatten, schwirrte mit stählernem Sirren der nächste Schwarm tödlicher Pfeile herbei und warf weitere fünf Männer nieder.
    Der Ausbruchsversuch war gescheitert, noch ehe er richtig begonnen hatte. Doch Höttsche befahl seinen Männern, die Gewehre nachzuladen und auf jeden Purpurkrieger abzufeuern, der über die Schwelle vorzudringen versuchte. Nur Augenblicke später war der Saal von Pulverqualm erfüllt. Die Räuber schossen blindlings auf alles, was sich im Türrahmen zeigte, und der Donnerkrach der unaufhörlich abgefeuerten Gewehre war so betäubend, dass Amos nur noch ein schrilles Pfeifen in seinen Gehörgängen vernahm.
    Zumindest ein Gutes hatte das höllische Krachen – spätestens jetzt musste auch Kronus drüben im Mühlhof mitbekommen, dass eine ganze Streitmacht angerückt war. Dagegen schienen die Purpurkrieger darauf bedacht, das Gelärme rasch wieder zu ersticken:

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