Opus 01 - Das verbotene Buch
Obwohl Höttsche und seine Männer den Eingang mit Gewehren und Schwertern verteidigten, drangen die Soldaten mit den silbernen Helmen einer nach dem anderen über die Schwelle vor. Geschickt hielten sie die Leiber der Gefallenen vor sich, sodass die Räuber trotz allem Getöse nur die Leichen ihrer einstigenKumpane mit Kugeln durchlöchern konnten. Die Purpurkrieger hinter den Schutzschilden aus Fleisch und Knochen aber blieben unversehrt.
Anfangs, als die Tür aufgeflogen war, hatte Amos nur auf den Moment gelauert, wenn er endlich hinausrennen und sich zu Oda durchkämpfen könnte. Doch bald schon war ihm klar geworden, dass die Soldaten keinen von ihnen aus dem Palas entkommen lassen würden. Zwischen den Pulverdampfschwaden entdeckte er immer mehr Purpurkrieger, die ihre Schwerter schwangen oder Pfeile in ihre Armbrust spannten – und immer weniger von Onkel Heriberts Männern, die noch auf ihren Füßen standen und mit Schwert oder Arkebuse Gegenwehr leisteten.
Sie werden uns alle töten, hatte Höttsche gesagt, noch ehe der Morgen graut. Und er hatte recht gehabt, alles hatte er richtig vorausgesehen – auch, dass die Soldaten keineswegs abgezogen waren und nur ein paar Wächter zurückgelassen hatten. Mindestens zwei Dutzend von ihnen mussten allein hier im Saal sein.
Endlich ließ das Pfeifen in Amos’ Ohren nach – und im gleichen Moment wünschte er sich, dass sein Gehör noch immer betäubt wäre: Der Saal hallte wider vom Klirren der Schwerter, von stampfenden Schritten, vom Sirren der Stahlpfeile, von Flüchen und Kampfgebrüll. Doch viel grässlicher drangen ihm die Schmerzensschreie der Verletzten ins Ohr. Es war ein Stöhnen, Seufzen und Heulen, verstörende Laute wie von Tieren oder von verängstigten kleinen Kindern. Der ganze Saal schien mit Schwerverwundeten und Sterbenden gefüllt, und Amos ahnte, dass die meisten von ihnen zu Höttsches Schar gehörten. In dieser Nacht, die wie rostiges Eisen war.
Auf einmal teilte sich der Pulvernebel und gleich drei Purpurkrieger tauchten vor Amos auf. Seine Rechte lag auf dem Knauf seines Kurzschwerts, doch bisher hatte er seine Waffe noch nicht einmal gezogen. Jetzt riss er sie heraus – er war kein guter Kämpfer und könnte ihnen gewiss nicht lange Widerstand leisten. Aber zumindest würde er sich wehren wie ein Edler von Hohenstein– bis der Lindwurm besiegt wäre oder ihn verschlingen würde.
Eben wollte sich Amos mit seiner Waffe auf den nächstbesten Purpurkrieger stürzen, da fand er sich beim Arm gepackt und zurückgestoßen. »Bleib hinter mir«, schrie Höttsche, »was auch passiert!« Sein unförmiger schwarzer Umhang blähte sich wie ein Piratensegel, als er das Erbschwert der Ritter von Hohenstein mit beiden Händen emporschwang. Sein erster Hieb fällte gleich zwei der Angreifer, mit dem nächsten Stoß streckte er auch den dritten nieder. Doch der lag noch nicht richtig am Boden, da stürmten von allen Seiten purpurn gewandete Kämpfer auf sie zu.
Der Hauptmann dirigierte Amos tiefer in den Saal. Mit seinem breiten Rücken deckte er ihn so vollständig, dass Amos nur die emporzuckenden Arme und Schwerter der Widersacher sah, die Höttsche einen nach dem anderen niederwarf. Dann wieder Stöhnen, Schmerz- und Todesschreie, die kaum erst verklungen waren, wenn die nächste Purpurwelle gegen den Hauptmann brandete.
Unbeugsam stand Höttsche vor Amos, eine Wand aus Fleisch und Stahl. Längst blutete auch der Hauptmann aus zahlreichen Wunden, doch unermüdlich schwang er das Schwert, so als ob weder Schnitt noch Stich ihn ernstlich schwächen könnte.
Und dann aber, im unwahrscheinlichsten Moment, als weit und breit niemand außer ihnen mehr auf seinen Füßen stand – da stürzte der Hauptmann nieder wie eine Felslawine. Krachend fiel er auf den Rücken, riss im Fallen auch Amos zu Boden und raunte heiser: »Stell dich tot!«
In der Saaltür, vom Hof her matt angeschienen, stand eine schmale Gestalt in der Kutte der Dominikaner. Es musste einer der beiden jungen Mönche sein, die dem Inquisitor sonst auf Schritt und Tritt folgten. Der Dunklere war am Abend im Gefolge der Kutsche fortgeritten, also musste es jener hellhäutige junge Mönch sein, der Amos schon am Abend aufgefallen war. Seine spöttische Miene, mit der er den Inquisitor nachzuahmen versuchte,und die feuerrote Hitze auf seinen Wangen, die so wenig zu seiner gespielten Kaltblütigkeit passen wollte. Amos hatte gehört, dass er Bruder Meinolf gerufen wurde, und dieser
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