OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
Drang, nicht etwa den beiden Nonnen mit ihrer schwankenden Last zu folgen – sondern durch genau diese Tür zu gehen, wo immer die hinführen mochte.
Gerade in diesem Augenblick fühlte sie, wie sich ihre Magendecke anspannte und es hinter ihrer Stirn zu sausen begann.
Komm zum Fluss , verstand sie, Brückenhaus … ins Boot … Und dann nichts mehr.
Aber das reichte ihr für den Moment auch völlig aus. Diese Tür hier musste zur Pegnitz hinunterführen, das wurde ihr nun blitzartig klar – zu dem Bootssteg unter dem Seitenflügel des Spitals, der sich auf einer Brücke über dem Fluss erhob. Und dort unten wurde die richtige Mutter Sophia soeben in ein Boot verfrachtet – während ihre Doppelgängerin im Spital einquartiert wurde.
In fieberhafter Eile legte sich Klara alles so zurecht und näherte sich dabei jener Seitentür. Sie schielte links und rechts über dieSchultern, konnte jedoch weder Bruder Alexius noch einen kaiserlichen Soldaten in ihrer Nähe entdecken. Wie lange würde es dauern, bis Cellaris Gehilfe bemerkte, dass sie wieder einmal vom Opus Spiritus gefoppt worden waren? So ganz hatte Klara noch nicht begriffen, was sich hier vor ihren eigenen Augen eigentlich abgespielt hatte. Aber darüber konnte sie sich jetzt wirklich nicht den Kopf zerbrechen – so beiläufig wie möglich drückte sie die Klinke herunter, schlüpfte über die Schwelle und zog die Tür mit angehaltenem Atem wieder hinter sich zu.
Eine dämmrige Wendeltreppe. Irgendwo weiter unten gluckste und gurgelte der Fluss. Klara vernahm gedämpfte Stimmen – zuerst nur von Frauen, dann mischten sich leise Männerstimmen hinzu.
Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Waren Mutter Sophia und ihre Helferinnen schon entdeckt worden, ihre Flucht beendet, ehe sie richtig begonnen hatte?
Auf Zehenspitzen lief Klara die Treppe hinab. Das Herz klopfte ihr nun wieder bis in die Kehle. Unten gab es abermals eine Tür, aber die stand glücklicherweise weit offen. Klara drückte sich an die Wand daneben und spähte hinter dem Türpfosten hervor.
Soeben luden die beiden Augustinernonnen Mutter Sophia mitsamt ihrer Bahre in einen Frachtkahn, der am Steg festgemacht war. Zwei Männer saßen darin, die Ruder bereits ins Wasser eingetaucht und bereit, augenblicklich abzulegen. Die Nonnen rafften ihre Kutten bis zu den Waden empor und stiegen gleichfalls in das schaukelnde Boot.
Mutter Sophia? Beschwörend rief Klara die alte Äbtissin an. Seid Ihr das wirklich – in diesem Kahn?
Da schlug die alte Frau auf der Bahre ihre Augen auf und im selben Moment fielen sämtliche Zweifel von Klara ab. Aber ja, das hier war die einzig wahre und wirkliche Mutter Sophia – an ihrem gütigen Blick, ihren strahlend blauen Augen hätte Klara sie auch nach Jahren und Jahrzehnten ohne das kleinste Zögern wiedererkannt. Sie gab sich einen Ruck und trat aus ihrem Versteck hervor.
»Da bist du ja, meine Liebe«, sagte Mutter Sophia. Ihre wirkliche Stimme klang weniger matt als ihre Gedankenstimme. »Steig schnell ein – wir müssen los.«
4
V
on den beiden Ruderern
mit kräftigen Schlägen vorangetrieben, glitt der Kahn auf der Pegnitz rasch dahin. Längst war die wuchtige Silhouette des Spitalbaus hinter ihnen versunken. Mutter Sophia hatte ihre Augen wieder geschlossen, und auch Klara spürte jetzt, wie müde sie war. Schläfrig blinzelte sie in die Morgensonne, die vor ihnen über den Hausdächern schwebte. Um diese frühe Stunde waren bereits zahlreiche Boote und Kähne unterwegs. Grußworte flogen über das Wasser. Schnittigere Boote zogen an ihnen vorüber, ein Fährmann stakte gemächlich von Ufer zu Ufer. Es war eine friedliche Stimmung, niemand schien sich für ihren Kahn besonders zu interessieren.
Doch Klara spürte durch alle Schläfrigkeit hindurch, wie angespannt die Männer an den Rudern und die beiden Nonnen waren. Immer wieder sahen sie sich verstohlen nach allen Seiten um. Trotz allem, was sie selbst in letzter Zeit erlebt hatte, kam Klara diese Vorsicht fast schon übertrieben vor. Woher sollten Cellari und seine Purpurkrieger denn wissen, dass sie gerade hier nach Mutter Sophia suchen sollten? Wahrscheinlich hatte Alexius ja noch nicht einmal bemerkt, dass sie eine Doppelgängerin der Äbtissin im Heilig-Geist-Spital einquartiert hatten. Und wenn doch? In einer so gewaltig großen Stadt wie Nürnberg gab es tausenderlei Möglichkeiten, jemanden zu verstecken. Schließlich konnte Cellari ja nicht Straße um Straße und Haus um Haus nach der
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