OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
trotzdem, aber aus einem anderen Grund. Komm her, Klara«, wiederholte sie und lächelte sie liebevoll an.
Klara wollte sich neben ihr zu Boden werfen, ihr Gesicht in Mutter Sophias Schoß vergraben, wie sie es früher so gerne gemacht hätte. Doch glücklicherweise fiel ihr eben noch rechtzeitig ein, dass sie hier keinesfalls herumpoltern durfte. So sank sie nur behutsam neben der Äbtissin in die Knie, nahm eine ihrer Hände in die ihren und sah Mutter Sophia mit einem glücklichen Lächeln an. »Wenn Ihr wüsstet, wie ich Euch vermisst habe!«, brach es aus ihr heraus.
»Oh, ich habe dich auch vermisst, Liebes.« Die Äbtissin streichelte ihr sanft über den Kopf. »Was für eine hübsche Haartracht du dir zugelegt hast – es steht dir wirklich ganz ausgezeichnet.«
Klara sah zu ihr auf. Ihre Augen begannen verdächtig zu brennen und gleich darauf brach sie wirklich in Tränen aus. Sie hatte versucht, den Weinkrampf zurückzuhalten, aber es ging einfachnicht. Viel zu viel Angst und Leid hatten sich in ihr aufgestaut, seit Mutter Sophia von den Inquisitoren verschleppt worden war. Sie hatte monatelang auf der Straße gelebt, und sie und Amos waren von den Ketzer- und Bücherjägern durchs halbe Land gejagt worden, mit Gewehren und Bluthunden, als ob sie Hasen oder Rehe wären.
»Weine nur, kleine Klara«, sagte Mutter Sophia leise. Unverwandt streichelte sie ihr über den Kopf und Klara weinte und weinte, bis keine einzige Träne mehr in ihr war.
»Jetzt ist mir leichter ums Herz«, sagte sie irgendwann mit tränenheiserer Stimme, nachdem sie ihre Augen getrocknet hatte. Sie schniefte in ein nicht allzu sauberes Tuch, das Leander für sie in Adrians Hosentasche gesteckt hatte. »Vielen Dank, Mutter Sophia, dass Ihr so viel Geduld mit mir habt.«
Die Äbtissin sah sie aufmerksam an. »Dasselbe sollte wohl eher ich zu dir und Amos sagen«, antwortete sie, »in meinem eigenen und in Valentin Kronus’ Namen – schließlich muten wir euch ja erst recht so einiges zu.«
Mit einem Mal spürte Klara, wie besorgt Mutter Sophia war. Und dass sie keineswegs so bei Kräften war, wie sie erscheinen wollte – Cellari und seine Schergen mussten ihr doch ärger zugesetzt haben, als sie vor Klara zugeben wollte. Auch in ihrem Lehnsessel war die Äbtissin bis unter das Kinn mit der lehmroten Decke zugedeckt, und Klara fragte sich, was sie auf diese Weise alles vor ihr verbergen wollte. Wunden, Verbände oder noch Ärgeres.
»Setz dich in den Sessel«, sagte Mutter Sophia. »Wir müssen sprechen, ich muss dir so vieles erklären – solange noch Zeit dafür ist.«
5
K
lara liess sich
in den Lehnsessel gegenüber der Äbtissin sinken. Da erst fiel ihr auf, dass auf dem Tisch zwischen ihr und Mutter Sophia Körbe und Teller mit den köstlichsten Speisen bereitstanden – Brot, Butter, Käse und sogar ein daumenbreiter Riemen Schinkenspeck. Aus einer Kanne stieg Dampf auf und der roch unverkennbar nach dem Früchtetee, den sie und Mutter Sophia bei ihren gemeinsamen Mahlzeiten in Mariä Schiedung immer getrunken hatten. Das Wasser lief Klara im Mund zusammen.
»Greif nur zu, Liebes«, sagte Mutter Sophia. »Du musst schrecklich ausgehungert sein.«
Es fühlte sich alles ein wenig unwirklich an – sogar dann noch, als Klara sich ein Brot mit Butter und Speck zurechtgemacht hatte und den vertrauten Teegeschmack in ihrem Mund spürte. Wo kamen all diese Köstlichkeiten überhaupt her? Weder hier in der vorderen Mansarde noch hinten in der Schlafkammer hatte Klara irgendwelche Speisevorräte oder gar einen Herd bemerkt, auf dem man Tee kochen könnte.
Herzhaft biss sie in ihr Brot. Nein, das hier war kein Traum und auch keine magische Vorspiegelung – es war die reine Wirklichkeit. Mit jedem Schluck und jedem Bissen schmeckte sie es noch deutlicher.
»Hör mir gut zu, Klara«, sagte Mutter Sophia ein wenig später. Sie selbst hatte nur ein paar Schlucke Tee getrunken und ein- oder zweimal in eine trockene Brotscheibe gebissen. »Du fragst dich bestimmt, was es mit dem Versteckspiel vorhin im Spital auf sich hatte – die Doppelgängerin, unsere Flucht über den Fluss und so weiter.«
Sie lächelte ein wenig verschämt, so als ob es ihr peinlich wäre, dass sie an derlei Gassenkinderstreichen teilnahm. »Leo Cellari hat ein paar Monate gebraucht«, fuhr sie fort, »aber nun hat er offenbar eingesehen, dass er mir keinerlei Offenbarungen überden Orden und unser großes Werk entlocken wird. Weder mit Drängen und Drohen
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