OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
habe mit Mutter Sophia auch lange darüber geredet . Nach ihrer Ansicht will Trithemius durch
Das Buch
und durch uns beide zu alter Magiermacht und -herrlichkeit zurückgelangen, wie sie sich ausgedrückt hat – aber was genau das bedeuten soll, konnte sie mir auch nicht sagen. Und während der Kutschfahrt hierher hat mir wiederum Mutter Maria versichert, dass es zwischen den Absichten von Kronus und Trithemius oder von ihr selbst und Mutter Sophia überhaupt keinen Widerspruch gebe. Und sie war immerhin eine Freundin meiner Mutter – warum also sollte sie mir Lügen erzählen oder mich in irgendetwas hineinziehen, das meine Eltern nicht gutgeheißen hätten?
Amos hatte ratlos mit den Schultern gezuckt. Es waren mehr oder weniger die gleichen Fragen, mit denen auch er sich seit Tagen herumschlug. Und das galt natürlich erst recht für die Frage, mit der Klara schließlich auf Trithemius’ geheimnisvolle Ankündigung zurückkam: »Was für eine magische Reise meint er denn eigentlich?«
»Es muss mit der vierten Geschichte zu tun haben«, sagte Amos, »oder besser gesagt, mit der magischen Kraft, die sie in uns erweckt. Was für eine Gabe das ist, weiß ich allerdings auch nicht – die Zeichen an den Wänden bilden eine Schutzglocke, sagt Trithemius, durch die keine magischen Kräfte hindurchdringen können. Deshalb können wir uns hier drinnen zwar in Gedankensprache unterhalten, aber um auf magische Weise irgendwohin zu reisen, müssten wir wohl erst aus dieser Abwehrglocke rausgehen.«
»Oder sie irgendwie aufkriegen«, ergänzte Klara und schaute nachdenklich zu dem Kuppeldach über ihnen.
Sie grübelten noch einen Augenblick lang vor sich hin, aber Amos spürte so gut wie Klara, dass sie alleine nicht weiterkommen würden. Sie mussten warten, bis Trithemius käme und ihnenauseinandersetzte, was es mit der »magischen Reise« auf sich hatte.
»Er hat behauptet, wir würden vollkommen begeistert sein«, sagte Amos, »und ihnen beiden auf Knien danken.«
»Ihnen beiden?«, wiederholte Klara.
Amos lag der Name schon auf der Zunge, aber er konnte sich nicht überwinden, ihn laut auszusprechen. Ganz ähnlich war es ja damals in der Bamberger Herberge dem jungen Maler Hans Wolf gegangen. Er hatte Amos an sich gezogen, um ihm genau diesen Namen ins Ohr zu flüstern. Damals hatte sich Amos über den ängstlichen Hans noch lustig gemacht, aber heute verspürte er genau die gleiche furchtsame Scheu.
Er beugte sich zu Klara hinüber, allerdings eher so, wie sich Laurenz zu Lucinda hingeneigt hatte, und flüsterte ihr die eine schaurige Silbe ins Ohr. Klara zuckte zusammen, als ob sie einen Fausthieb abbekommen hätte.
»Aber nicht er«, sagte Amos rasch, »hat
Das Buch
geschrieben – das ist einzig und allein Kronus’ Werk. Und Kronus und Mutter Sophia wollten, dass wir alle vier Geschichten lesen – und ihnen glaube und vertraue ich nach wie vor.«
»Ich auch«, sagte Klara und fügte auf dem Gedankenweg hinzu: Mutter Sophia hat mir eingeschärft, dass Trithemius ohne uns nichts erreichen kann, was immer er im Schilde führen mag. Und ich musste ihr geloben, dass wir das niemals vergessen werden .
Sie lächelte ihn an, und ehe er noch etwas erwidern oder sie aufs Neue kribblig anschauen konnte, nahm sie
Das Buch
, legte sich auf sein Strohbett und begann, die vierte Geschichte zu lesen.
5
N
eun Mal ertönte von
der Klosterkirche her der Stundenschlag. Drüben im Haupthaus hoben die Mönche abermals an, zu singen und zu beten. Und der neunte Glockenton war noch nichtganz verhallt, da ging die Tür der Einsiedelei auf und Trithemius trat ein.
»Seid ihr bereit?«, fragte er und schaute von Amos zu Klara. »Dann lasst uns beginnen«, setzte er hinzu, ohne eine Antwort abzuwarten.
Klara warf Amos einen Blick zu und er hob sacht die Schultern.
Hinter dem Abt traten die beiden Mönche ein, die vor der Einsiedelei Wache gehalten hatten. Sie schleppten einen baumlangen Balken herein, der am einen Ende zugespitzt war wie ein riesengroßer Schreibstift und von oben bis unten mit regelmäßigen Einkerbungen versehen war.
Auf einen Wink von Trithemius stiegen die beiden Mönche auf die Bank und von dort auf den Tisch. Mit Ächzen und Keuchen richteten sie den gewaltigen Balken auf, bis die Spitze gerade unter dem Kuppeldach schwebte. Es sah aus, als ob sie mit diesem übergroßen Schreibstift weitere verschandelte Lettern in die Kuppel kritzeln wollten, die allerdings wie alles in der Einsiedelei bereits über
Weitere Kostenlose Bücher