OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
gleich noch eine kleine Vesper bringen. Danach wirst du auch wieder so weit bei Kräften sein, dass du die vierte Geschichte lesen kannst. Amos hat sie schon gelesen«, fügte er mit einem Lächeln für Klara hinzu und ergänzte dann in Amos’ Richtung: »Und Klara kennt mittlerweile auch die dritte Geschichte – aus einem Brief von Kronus an Mutter Sophia, den sie in Nürnberg gelesen und auf ihrer Flucht allerdings auch gleich wieder verloren hat. Verstehe mich um Himmels willen nicht falsch, meine Liebe«, sagte er und sah nun wieder Klara an, »das soll natürlich kein Vorwurf sein – oder höchstens ein Vorwurf an Leo Cellari.«
Er schüttelte missbilligend den Kopf, doch zugleich lächelte er in sich hinein, als ob er für den Inquisitor trotz allem eine gewisse Hochachtung empfände.
Amos sah dieses Lächeln, das Spott und Respekt in einem auszudrücken schien – und gerade in diesem Augenblick durchzuckte ihn eine Erleuchtung: Für Trithemius war dies alles ein gigantisches, spannendes Spiel. Die Erschaffung des
Buchs der Geister
, Cellaris Jagd auf
Das Buch
und die Schachzüge, die er selbst sich einfallen ließ, damit sein Gegenspieler immer wieder das Nachsehen hatte. Ein Spiel, bei dem Trithemius die Rolle des glanzvollen Strategen zukam, während sie beide, Amos und Klara, genauso wie Kronus oder auch Mutter Sophia bloß hölzerne Figuren waren, die der Abt nach Gutdünken über das Spielfeld schob. Und sein Gegenspieler, der Einzige, den er als gleichwertigen Gegner ansah und akzeptierte, war Leo Cellari. Auch das wurde Amos in diesem Moment blitzartig klar. So und nicht anders verhält es sich, dachte er. Selbst der mächtige Magier Faust ist für Trithemius nur eine Spielfigur. So wie auch Cellari den Unterzensor Skythis nur wie einen Schachläufer von Nürnberg nach Kirchenlamitz oder Bamberg verschiebt. Aber der Spieler auf der anderen Seite des Spielbretts ist einzig und allein er.
Er hätte gar nicht sagen können, wie er zu dieser plötzlichen Einsicht gelangt war oder was sie für ihn selbst und für Klara eigentlich bedeutete. Aber etwas sehr Ähnliches hatte er ja schon mehrfach empfunden, seit sie mit dem
Buch der Geister
auf der Flucht vor den Ketzer- und den Bücherjägern waren: Wie Figuren in einem ungeheuren Spielwerk wurden sie alle umeinander gedreht und gewirbelt und nicht einmal Kronus konnte den Mechanismus, der sie in Schwung hielt, durchschauen oder gar lenken.
Aber Trithemius kann es, dachte Amos – oder zumindest glaubt er felsenfest daran. Und folglich glaubt er auch, dass er dieses Spiel gewinnen wird.
»Lies die Geschichte, Klara«, wiederholte der Abt, schon auf dem Weg zur Tür. »Heute Abend nach dem Neun-Uhr-Läutenkomme ich wieder«, fügte er hinzu, während die Tür bereits hinter ihm zufiel, »und dann wird alles für eure magische Reise bereit sein.«
4
E
rst geraume Zeit später
kam Klara auf diese geheimnisvolle Ankündigung zurück. »Was für eine magische Reise meint er denn eigentlich?«, fragte sie.
Davor hatten sie einander zärtlich umarmt und geküsst, und Klara hatte Amos alles erzählt, was sie erlebt und erfahren hatte, während sie voneinander getrennt gewesen waren. Dass Kronus und Mutter Sophia so etwas wie ein Liebespaar gewesen waren – obwohl sich Klara das eigentlich so wenig vorstellen konnte wie Amos. Dass die Purpurkrieger sie in Mutter Sophias Versteck aufgespürt hatten, einem Hohlraum im Mauerwerk neben dem Waisenhaus von Amos’ Tante Ulrika. Dass sie über die Dachböden geflohen war, von zwei Bluthunden gehetzt, die sich sogar hinter ihr in die Tiefe geworfen hatten, als sie selbst in die Pegnitz hinabgesprungen war. Dass sie von vier Augustinerinnen, die wahrscheinlich gar keine wirklichen Nonnen waren, am Ufer aufgesammelt und verarztet und bis hierher kutschiert worden war. Dass Amos aufhören sollte, sie in dieser Weise anzuschauen, weil sie sonst noch kribbliger werden würde und ihn schon wieder küssen müsste, anstatt weiterzuerzählen. Dass die älteste der vier Nonnen ihre Mutter Vera gekannt hatte und sogar Vera Thalgrubers Freundin gewesen war. Dass sich der blödsinnige Johannes Mergelin neuerlich auf die Seite von Skythis geschlagen hatte und die Bücherjäger wieder auf ihre Fährte gelenkt hatte – aber selbst darauf war Mutter Maria vorbereitet gewesen. »Ich habe gar nicht gleich verstanden«, hatte Klara ihm erzählt, »was sie da auf einmal anstellten – warum eine der Nonnen hinaus auf den Kutschbock
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