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OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger

Titel: OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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der zweite Mönch, der die Tischplatte umklammert hielt, im Kreis zu rennen.
    Es sah äußerst sonderbar aus, wie der kräftig gebaute Mann in der knöchellangen Mönchskutte schnaufend um den Tisch herumrannte, ohne dabei die gewaltige fünfeckige Holzplatte loszulassen. Er lief gebeugt, mit nach links hin verdrehtem Oberkörper,da er sich gleichzeitig über die Steinbank hinwegneigen musste, die sich kreisförmig um den Tisch herumzog. Nachdem er drei oder vier Mal in dieser Weise im Kreis gelaufen war, hatte die Platte anscheinend genügend Schwung gewonnen. Der Mönch ließ schnaufend los und die ungeheure Scheibe begann wie aus eigener Kraft emporzuschweben, indem sie sich weiter rasend um sich selbst drehte.
    Wieder wechselten Amos und Klara Blicke. Auch dieses Wunder wurde allem Anschein nach nicht durch Magie, sondern durch einen kunstvollen Mechanismus bewirkt.
    Amos bückte sich verstohlen und spähte unter den Tisch. Die Holzplatte war offenbar der Kopf einer riesengroßen Schraube, die sich leise wimmernd aus dem Tischfuß hervordrehte, und der musste demzufolge hohl sein. Von Ketten und Federn angetrieben, die man wiederum im Untergrund klappern und stampfen hörte, drehte sich die gigantische Schraube zur Gänze aus dem Tischfuß heraus und schwenkte dann ein wenig in die Schräge. Wie die Greifarme eines rätselhaften Lebewesens war zuletzt noch ein kompliziertes Gestänge aus der Tiefe emporgefahren und hielt das Ende der riesenhaften Schraube ein gutes Stück über dem hohlen Tischfuß umklammert.
    Das mechanische Rattern und Quietschen war verstummt. Der Abt sah die beiden Mönche an und deutete mit dem Kopf zur Tür. »Haltet draußen weiter Wache, Brüder«, wies er sie an. »Und was ihr hier drinnen auch hören mögt – kommt nicht herein.« Mit gesenkten Häuptern verließen sie die Einsiedelei und zogen hinter sich die Tür ins Schloss.
    Trithemius deutete auf den hohlen Tischfuß. »In ihrer Weisheit, die sie allein Gott, dem Herrn aller Geister, verdankt«, sprach er, »hat die Kirche ihre Klöster und Gebetshäuser immer schon mit Vorliebe dort errichtet, wo sich in alten Zeiten heidnische Heiligtümer befanden. Und so auch hier: Wo heute diese Einsiedelei steht, war einst einer der größten Heidentempel weit und breit. Der Legende nach war dieser Tempel um einen tausendjährigenEichbaum herum erbaut worden – und angeblich ist dieser ausgehöhlte Baumstamm sogar der Überrest jenes uralten heiligen Baums.«
    Unerwartet behände kletterte er auf die Steinbank, machte einen beherzten Schritt und kam auf dem Rand des hohlen Tischfußes – oder auch heiligen Heidenbaums – zu stehen. Zwischen den Stäben des eisernen Gestänges hindurch, das die gigantische »Schraube« über ihm festhielt, sah der Abt zu Amos und Klara hinüber. »Innen an den Wänden sind Stufen eingekerbt«, sagte er. »Der Abstieg ist kinderleicht, ihr werdet schon sehen – selbst einem alten Mann wie mir bereitet er keine Mühe. Aber vielleicht möchtest du vorangehen, Klara? Oder du, Amos?« Und wie es offenbar seine Eigenart war, wartete er keine Antwort ab, sondern war im nächsten Augenblick in dem hohlen Heidenbaum verschwunden.
6
    E
rst ein paar Tage vorher
war Amos in einem solchen ausgehöhlten Eichbaum abwärtsgeklettert, und er verspürte nur wenig Lust, dieses Abenteuer zu wiederholen. Nicht nur hatte der Baum damals lichterloh gebrannt – auch was er unten, am Boden des modrigen Hohlraums, vorgefunden hatte, war gräulich und abscheulich gewesen. Glotzende Holzmasken und Wurzelbrocken mit daraufgepfropften Totenköpfen. Winzige Puppen aus Dreck und Spinnweb. Aber schauerlicher als alles andere war ihm jenes Dreieck aus Stein und Knochen erschienen, das dem Amulett um seinen Hals so ähnlich war – nur verzerrt ins Plumpe, Fratzenhafte.
    Umso erstaunter war Amos, als er den Grund dieses hohlen Heidenbaums erreichte. Hier unten sah alles sauber und freundlich aus – ein kleines rundes Zimmer mit hölzernen Wänden. In der hinteren Hälfte gab es sogar eine Lagerstatt mit frischemStroh und darüber ausgebreiteten Leinentüchern. Durch einen schmalen Durchschlupf gelangte man in ein geräumiges Felsgelass.
    Amos zwängte sich durch den Spalt hindurch. Mit einer brennenden Fackel in der Hand lief Trithemius eifrig umher und zündete weitere Fackeln und Feuer in Wandnischen und Bodenlöchern an.
    Klara stand bereits inmitten des unterirdischen Tempelsaals und schaute sich nach allen Seiten um. »Da bist du

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