OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
Gedankenstimme ließ sie auseinanderfahren. Er deutete zu dem Spalt im hohlen Baum. »Überzeuge dich davon, was in jener Nacht wirklich passiert ist, Amos. Und danach müsst ihr euch schleunigst nach Rogár begeben – wenn ihr nicht rechtzeitig zurück seid, bevor Cellari und Skythis mit ihrer Streitmacht hier sind, war alles umsonst.«
Wieder trat er zu ihnen, fasste sie diesmal bei den Handgelenken und zog sie gebieterisch zu dem hohlen Baum. »Legt euch da drinnen auf das Strohlager und haltet einander bei den Händen. Stellt euch recht lebhaft den Ort vor und dazu irgendetwas, das es gerade zu jener Zeit dort gegeben hat. So haben es auch die Zauberpriester in den alten Zeiten immer gemacht. Ihre Leiber sind hier unten zurückgeblieben – ihre Geister aber sind in dem Baum emporgeflogen und dann durch Raum und Zeit gereist. Geht nur hinein.«
Er schob Amos halb in den Durchschlupf hinein. »Ihr versteht doch, wie groß die Gefahr ist?«, fügte er in drängendem Tonfall hinzu. »Ihr müsst dieses Kloster hier so rasch wie irgend möglich mit einem unüberwindlichen Schutzzauber versehen – oder Cellari lässt uns alle auf dem Scheiterhaufen verbrennen.«
7
H
and in Hand flogen sie
in dem hohlen Eichbaum empor und hoch in den Himmel hinauf. Die Nacht war mild und sternenklar, und unter ihnen versank die Stadt Würzburg mit ihren vielerlei Dächern und Weinbergen und dem glitzernden Fluss, der sich mitten hindurchwand. Von alledem bekamen Amos und Klara kaum etwas mit. Amos stellte sich so eindringlich wie nur möglich sein Vaterhaus bei Wunsiedel vor und seine Eltern, die tief in der Nacht in der Eingangshalle standen. Die Mutter mit einem Gewehr im Anschlag, der Vater mit gezücktem Schwert.
Nur einen Herzschlag später schwebten sie bereits zu dem Gutshaus hinunter, das sich mondhell und stattlich auf dem Hügel zwischen Äckern und Wiesen erhob. Und gerade in diesem Moment kamen drei Männer auf den Hof geritten, sprangen aus den Sätteln und banden ihre Pferde am Brunnen fest.
Der Größte von ihnen ist Höttsche , sagte Amos. Er war noch ganz benommen von ihrem rasenden Flug durch Raum und Zeit.
Sie schwebten weiter hinab auf den Hof. Und die beiden anderen?, fragte Klara.
Keine Ahnung . Die habe ich noch nie gesehen . Amos warf ihr einen raschen Seitenblick zu. Auch als Geist sah Klara einfach großartig aus – ihre Augen glimmend grün, ihr Haar silbrig schimmernd, ihre Haut noch blasser als sonst und durchscheinend wie Morgennebel.
Höttsche rückte sich derweil seinen Umhang über den Schultern zurecht und stapfte zur Haustür. Seine beiden Begleiter hielten sich im Hintergrund. Sie waren in mittleren Jahren und von schmächtiger Gestalt. Mit ihren säuberlichen Gewändern und den blassen, glatt rasierten Gesichtern sahen sie eigentlich gar nicht wie Räuber aus – eher wie brave Stadtbürger, die es durch irgendwelche Umstände aufs Land verschlagen hatte.
Die Haustür war mit einem schmiedeeisernen Klopfer versehen, doch so etwas brauchte Hauptmann Höttsche nicht. Er hämmertemit der Faust gegen das Türblatt. »Ferdinand von Hohenstein? Ihr wisst, warum wir gekommen sind. Lasst uns wie vernünftige Männer miteinander reden.«
In der Eingangshalle erklangen eilige Schritte und unverständliche Rufe. Das mussten seine Eltern sein, dachte Amos, die da drinnen aufgeregt herumliefen.
Klara drückte seine Geisterhand fester. Sie wussten, dass diese Männer kommen würden.
Amos nickte. So kommt es mir auch vor. Aber ich dachte immer, sie wären im Schlaf überfallen worden .
»Verschwindet!«, schrie von drinnen eine tiefe Stimme.
Mein Vater! Das Herz klopfte Amos mit einem Mal bis in die Kehle hinauf.
»Verlasst meinen Hof«, schrie Ferdinand von Hohenstein – »oder Ihr sollt mein Schwert zu schmecken bekommen!«
»Nur mit der Ruhe.« Höttsche wandte sich kurz zu den beiden städtisch gekleideten Männern zurück und strich sich den zottigen Bart. »Ich bitte Euch, Herr«, rief er, »im Namen des Bundes, dem auch Ihr Euch einmal verschworen habt: Öffnet uns die Tür. Wir haben großartige Neuigkeiten für Euch.«
Höttsche wirkte gelassen, beinahe heiter. Auf Amos machte er überhaupt nicht den Eindruck, als ob er im Begriff wäre, ein schreckliches Verbrechen zu begehen. Trotz seines wilden Bartes und der riesenhaften Gestalt sah er nicht einmal richtig nach einem Räuberhauptmann aus – aber das kam vielleicht nur daher, dass seine Stirn noch nicht von jenem Narben-X entstellt
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