Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger

Titel: OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
Vom Netzwerk:
vierhundert Jahren darauf, durch eure ebenbildlichen Ahnen entfacht zu werden. Aber das magische Schriftritual, die Erleuchtung der ebenbildlichen Nachfahren, muss unbedingt in der Zeit und an dem Ort stattfinden, wo die letzten illuminierten Zauberpriester gewirkt haben. Ihr wisst selbst, wie ungemein schwierig es war, diese Bedingung der Geister zu erfüllen, und doch ist es uns zum guten Ende nun geglückt: Wir haben euch beide aufgefunden und die Gaben der Gedankenübertragung und der magischen Reise durch Raum und Zeit in euch erweckt.«
    Sein Tonfall wurde drängend. Obwohl er weiterhin lächelte, wirkte er mit einem Mal beunruhigt und angespannt. »Und nun kehrt nach Rogár zurück« schloss er, »lasst euch von euren ebenbildlichen Ahnen im magischen Ritual erleuchten und tretet ihre Nachfolge an – als mächtigste Zauberpriester in ganz Franken und weit darüber hinaus.«
    Amos war mittlerweile so schwindlig, dass er den Boden unter sich schwanken fühlte. Er schaute Klara an, und schon der brennende Glanz ihrer Augen verriet ihm, dass sie genauso wie er selbst empfand. In ihrer Fantasie waren sie beide schon gänzlich zu den mächtigen Zauberpriestern von Rogár verwandelt worden. Die Weisheit der Geister erleuchtete sie, und jedes Schriftzeichen, das sie in einen Schild oder einen Türsturz ritzten, auf die Stirn eines Kranken malten oder mit dem Pflug in die Erde schrieben, bewirkte einen Zauber, der Gefahren abwendete, Wehrlose schützte, Verwundeten Heilung oder Hungernden Nahrung schenkte.
    Bestimmt hatte Kronus gar nicht gewusst, sagte sich Amos, wie viel Gutes sie bewirken könnten, wenn sie alle Geisterkräfte in ihrem Innern entflammen ließen – und nicht bloß jene, die er selbst durch
Das Buch
erwecken wollte. Denn wenn er es gewusst hätte – dann hätte er doch bestimmt auch gewollt, dass sie beide nach Rogár zurückkehrten, um sich im magischen Schriftritual illuminieren zu lassen? Oder doch nicht? Die Vorstellung, dass siewomöglich gegen ein Gebot von Kronus verstoßen würden, bedrückte Amos sehr. Aber vielleicht hatte er den weisen Alten ja bloß missverstanden? Denn eigentlich konnte Kronus doch gar nichts dagegen haben, dass Klara und er selbst zu Schriftmagiern erleuchtet würden – schließlich würden sie ihre magische Macht einzig und allein zum Nutzen der Menschen einsetzen, so wie bisher auch.
    Und doch durften sie über diesen heiklen Punkt nicht einfach so hinweggehen, das spürte Amos ganz deutlich. Es wäre Verrat an Kronus gewesen, und Verrat an Mutter Sophia. »Bitte erklärt mir noch eines, Herr«, wandte er sich an den Abt, »Kronus hat immer gesagt, dass die Zeit der großen Magier vorbei sei – und Ihr sagt aber jetzt, Klara und ich seien auserwählt, gerade solche Magier zu werden. Wie passt das zusammen?«
    Eigentlich wünschte er sich in diesem Augenblick nur, dass Trithemius seinen Einwand entkräften würde. Doch der Abt sah ihn bloß erwartungsvoll an, mit kaum mehr verhohlener Ungeduld – so als ob die Antwort längst offen zutage läge oder als ob es auf derlei Nebensächlichkeiten nun überhaupt nicht mehr ankäme.
    Aber für Amos war es keine Nebensächlichkeit, und er spürte, dass Klara es genauso empfand. »Kronus wollte von der alten Magie nur jene Gaben bewahren«, beharrte er, »mit denen man ganz bestimmt keinem anderen Menschen schaden kann. Die Magie sollte deshalb nur noch in der Dichtkunst weiterleben, jedenfalls habe ich Kronus immer so verstanden …«
    »… und so hat er es wohl auch gemeint«, fiel ihm Trithemius ins Wort. »Unser wackerer Valentin.« Er schüttelte den Kopf und sein Lächeln kehrte zurück. »Dichter oder Priester, Schriftkünstler oder Schriftmagier – darüber haben wir im Opus Spiritus immer wieder debattiert. Dabei besteht zwischen beidem, recht betrachtet, überhaupt kein Unterschied. Der Dichter will seine Leser mit seiner Schriftkunst verzaubern, und der Schriftmagier will ja ganz genau dasselbe erreichen – nur schreibt er nicht auf Pergament oder Papier, sondern ritzt seine Zeichen in Holz oderLeder, meißelt sie in Stein oder malt sie auf Haut. Auch die Zauberpriester von Rogár waren Dichter, und sogar Dichter in einem weit größeren, umfassenderen Sinn. Wenn man es richtig bedenkt, ist der Dichter, wie manche ihn heute verstehen und eingrenzen wollen, eigentlich nur ein schwächlicher, ja verzwergter Nachfahr der großen Schriftmagier von einst.« Der Abt trat zwischen Amos und Klara und hängte sich

Weitere Kostenlose Bücher