OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger

Sie verneigten sich vor dem obersten Priester, nahmen dann ihre Hüte vom Kopf und reichten sie Amos und Klara. Alles spielte sich ganz genauso ab wie damals, als sie beide mit Karol hier gewesen waren. Wiederum trugen die Wächter unter ihren Hüten genau die gleichen Kopfbedeckungen noch einmal. Und wieder war es die Wächterin, die sie mit einem schwermütigen Lächeln in Gedankensprache anwies, die kegelspitzen Hüte aufzusetzen. Sonst dürft ihr nicht weitergehen.
    Aber wir sind Geister! , wandte Klara ein. Wie sollen wir diese Hüte denn …
    Hoskan hob eine Hand und gebot ihr, zu schweigen. Seine Augen waren auf die Hüte in den Händen der Wächter gerichtet. Ohne etwas anderes als seine Augen zu bewegen, ließ er aus jedemHut ein geisterhaftes Abbild hervorschweben. Setzt sie auf , befahl er.
    Klara und Amos wechselten einen Blick. Die Geisterhüte schwebten wenige Zoll über den wirklichen Hüten, wie feine Nebelschleier. Amos fühlte abermals ein starkes Unbehagen, aber dann sagte er sich, dass es mit diesen Hüten ja weiter nichts auf sich haben konnte. Als sie mit Karol hier waren, hatten sie doch auch genau solche kegelspitzen Kopfbedeckungen aufsetzen müssen, und damals hatten sie keinerlei schwächende oder irgendwie schädliche Wirkung gespürt. Also setzten sie die Geisterhüte auf ihre Geisterköpfe und folgten Hoskan und den beiden Wächtern weiter den Berg hinauf.
    Wohin bringt ihr uns?, fragte Klara die Wächterin.
    Zum sehenden See .
    Und was soll dort geschehen?
    Hoskan wandte sich im Gehen neuerlich zu ihnen zurück. Schweigt jetzt. Alles wird geschehen, wie es die Geister vorbestimmt haben.
    Aber wir haben noch so viele Fragen , wandte Amos ein.
    Und wir wollen nicht einfach nur ausführen, was für uns vorherbestimmt worden ist , bekräftigte Klara. Wir sind hierher gekommen, um zu sehen, wie mächtig unsere ehrenbildlichen Ahnen früher einmal waren. Aber ihr seid nicht mächtig – ihr seid nur Gefäße der Geister, ihre willenlosen Werkzeuge.
    Hoskan blieb nun doch noch einmal stehen und wandte sich zu ihnen um. Die beiden Wächter schickte er mit einer Kopfbewegung fort. Er schien weniger verärgert als erstaunt. Nicht mächtig?, wiederholte er. Wie meinst du das? Die Geister sprechen und wirken durch uns – das ist unsere Macht. Er schüttelte den Kopf. Selbst das gewaltigste Segel braucht den Wind, um sich zu blähen – aber heißt das, dass es nicht mächtig wäre?
    Ein seltsamer Vergleich , mischte sich Amos ein. Wir sind doch Menschen und keine leblosen Stofffetzen. Wir haben einen Willen und ein Gewissen, und wir müssen doch jeder selbst entscheidendürfen, ob wir dorthin wollen, wo die Stürme uns hintreiben wollen.
    Amos’ ebenbildlicher Ahn schloss kurz die Augen. Wir müssen weiter , sagte er und wollte sich schon wieder abwenden.
    Wartet noch, Herr , sagte Klara schnell. Beantwortet mir noch eine Frage: Dürfen die Geister nach eurem Glauben Menschen töten, wenn die ihren Zielen im Weg sind?
    Hoskan machte große Augen. Ob sie es dürfen? Er zog sich mit Daumen und Zeigefinger an seinem Ziegenbärtchen. Aber sie sind die Geister – wer wollte es ihnen verbieten? Wieder schüttelte er den Kopf, dass der spitze Hut auf seinem Lockenschopf schwankte. Nun müssen wir aber wirklich weiter. Doch seid unbesorgt – wenn ihr erst erleuchtet worden seid, werden euch auch keine Fragen mehr quälen.
    Das kann schon sein , sagte Amos. Wenn die Geister in uns erst übermächtig geworden sind, dann können wir nämlich nichts mehr fragen und uns nicht mehr gegen sie wehren. Aber so weit lassen wir es nicht kommen – oder, Klara?
    Ganz bestimmt nicht , antwortete sie. So gerne ich eine mächtige Schriftmagierin geworden wäre – ein willenloses Werkzeug der Geister will auch ich nicht sein. Sie schaute Amos an. Fliegen wir zurück, mein Auserwählter? Trithemius wird allerdings ziemlich wütend sein, wenn er sieht, dass wir nicht erleuchtet worden sind.
    Amos nickte ihr zu. Schnell zurück . Und dann noch schneller weg von dort.
    Sie fassten sich bei den Händen und schlossen die Augen. Amos’ ebenbildlicher Ahn begann, mit den Stimmen sämtlicher Geister, die in ihm hausten, auf sie einzuschreien, aber sie achteten nicht mehr auf ihn. So eindringlich, wie sie nur konnten, stellten sie sich die weit geöffnete Kuppel über der Einsiedelei vor und ganz unten, am Fuß des hohlen Eichbaums, ihre Körper, die dort friedlich nebeneinander lagen, Hand in Hand und beide lächelnd wie in