OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
Bart. Kommt er dir bekannt vor?«
Der Junge mit den grünen Augen hörte sich diese Beschreibung aufmerksam an. Doch als Amos nun schwieg, hob er nur ein wenig die Schultern und ließ sie wieder fallen. »Es war dunkel« , schrieb er. »Nur Schemen gesehen. Keine Gesichter.«
»Aber so ein riesengroßer Mann war dabei?«
Leander nickte und sah ihn aufs Neue erwartungsvoll an. Gedankenverloren erwiderte Amos seinen Blick und überlegte dabei, wie er Höttsche noch besser beschreiben könnte. Wenn Leander damals im Dunkeln keine Gesichter erkennen konnte, dann hatte es auch keinen Sinn, wenn er jetzt das Narben-X auf der Stirn des Räuberhauptmanns hervorhob. Angestrengt rief er sich Höttsches Äußeres ins Gedächtnis, versuchte sich an jede Einzelheit zu erinnern – an Höttsches dröhnendes Lachen, seinen bärenhaften Gang. Starr sah Leander ihn währenddessen an und mit einem Mal wurden seine Augen so dunkel wie manchmal bei Klara.
Angstdunkel, trauerschwarz.
»Was ist los?«, fragte Amos. »Was hast du auf einmal, Leander?«
Und noch während ihn Leander anstarrte, dann mit fliegenden Fingern zu schreiben begann, hatte Amos verstanden, was damit ihnen passiert war. Das Gleiche hatte er in Bamberg schon einmal erlebt, vor dem Tor der Bischofsburg, als er versucht hatte, dem jungen Maler Hans Wolf eine verwickelte Situation zu erklären: Er hatte sich alles angestrengt vor Augen gerufen und dabei sein Gegenüber beschwörend angesehen – und im gleichen Moment hatte der andere alles vor sich gesehen, was Amos ihm doch erst hatte beschreiben wollen.
Leander hielt ihm das wild bekritzelte Schieferstück hin. »Das ist der Mann« , las Amos. »Er und zwei weitere Männer – beschimpften meine Eltern.« Leander ließ ihm kaum Zeit, diese Worte zu lesen, dann wischte er alles schon wieder weg und bedeckte das Schieferstück mit einer weiteren Botschaft. »Fand beide mit Felsbrocken erschlagen, als ich aus Versteck hervorgekrochen kam .«
Amos wandte hastig seinen Blick ab. Der andere Junge sollte nicht die Tränen sehen, die ihm auf einmal in den Augen brannten. Höttsche und zwei weitere Männer – das hieß, dass Höttsche auch diesen Überfall bestimmt nicht auf Geheiß von Onkel Heribert verübt hatte. Der Onkel war immer mit seiner ganzen Räuberhorde losgezogen, zwei Dutzend kampferprobter Gesellen, und sie hatten natürlich auch keine reisenden Wundärzte oder ähnliche Habenichtse überfallen, bei denen außer ein paar Kupfermünzen nichts zu holen war.
Nein, auch diesen Überfall hatte Höttsche allem Anschein nach auf eigene Faust verübt. Oder, besser gesagt, im Auftrag der Bruderschaft – genauso wie ein Jahr vorher den Mordanschlag, bei dem Amos’ Eltern umgekommen waren.
Er wischte sich verstohlen über die Augen, ehe er wieder zu Leander rüberschaute. Der andere Junge schien gleichfalls von seinen Erinnerungen ziemlich mitgenommen. Aber er hatte offenbar keine Ahnung, was es bedeutete, dass ihrer beider Eltern von ein und demselben Mann getötet worden waren.
5
D
er Fluss beschrieb
eine weitere scharfe Biegung und unmittelbar dahinter blieb Rolfus stehen und drehte sich um. »Rasch durch die Furt.« Er deutete auf den Fluss zu seiner Rechten hinab. »Einer nach dem anderen!«
Er warf Walter einen Blick zu und der jüngere Mann nickte. Beide wirkten mit einem Mal beunruhigt und äußerst konzentriert. Der Steinmetz hielt mit einer Hand das Muli am Zügel, mit der anderen stützte er Johannes. Der einstige Gehilfe der Bücherjäger schien mittlerweile so entkräftet, dass er sich kaum mehr auf den Beinen halten konnte. Aber die Beunruhigung, das spürte Amos nun ganz deutlich, ging von Johannes aus. Mit seinen feinen Ohren hatte er offenbar gehört, dass sich die Purpurkrieger an ihre Fährte geheftet hatten. Wieder sah Amos vor sich, wie sie zu Pferde den unwegsamen Abhang hinabpreschten – der Offizier mit dem strahlenden Lächeln vorneweg und ganz am Schluss Meinolf, dessen Wangen in düsterer Vorfreude glühten.
Einer nach dem anderen wateten sie durch den Fluss, wie Rolfus es angeordnet hatte. Er selbst stapfte voran, gefolgt von Klara, die sich in den Sattel geschwungen hatte und die Füchsin mühelos ans andere Ufer hinüberlenkte. Das Gewässer war an dieser Stelle kaum kniehoch und schien gemächlich dahinzufließen.
Amos krempelte sich die Hosenbeine hoch und warf sich die zusammengebundenen Schuhe über die Schulter. Für alle Fälle zog er
Das Buch der Geister
aus der
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