OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
Anstalten, eine ausführlichere Antwort aufzuschreiben.
Im ersten Moment fühlte sich Amos unsagbar erleichtert. Er hatte schon ganz genau vorausgesehen, was Leander als Nächstes auf seine Tafel schreiben würde: »Vor fremden Männern – wollten mich mitnehmen« oder etwas sehr Ähnliches. Denn so und nicht anders war es ja auch seinen eigenen Eltern ergangen, als er selbst noch ein kleiner Junge gewesen war: Gleich ein halbes Dutzend älterer Herren von würdevollem Aussehen waren bei ihnen zu Hause erschienen und hatten Amos’ Vater beschworen, ihren Sohn der Bruderschaft zu überlassen. Aber Amos’ Mutter hatte sich geweigert, ihn gehen zu lassen, sie hatte so lange geweint und gejammert, bis Amos’ Vater sich auf ihre Seite geschlagen und die Ordensbrüder vom Opus Spiritus aus dem Haus gewiesen hatte.
Und ein paar Jahre darauf hatten Mordbrenner bei Nacht ihr Haus überfallen – sie hatten Amos’ Eltern erschlagen und alles in Brand gesetzt. Mit zwölf Jahren war Amos so doch noch dem Opus Spiritus zugeführt worden, auch wenn er damals – und sogar bis vor wenigen Wochen – nicht einmal im Traum geahnt hätte, dass es diese mysteriöse Bruderschaft überhaupt gab. Erst an dem schrecklichen Tag im letzten August, als Cellaris Purpurkrieger Burg Hohenstein überfallen hatten – erst da hatte er erfahren, dass derselbe Mann, der ihm an diesem Tag das Leben retten sollte, drei Jahre vorher Amos’ Eltern umgebracht hatte. Und beide Male hatte er anscheinend aus ein und demselben Beweggrund gehandelt: weil die Bruderschaft Opus Spiritus ihn, Amos von Hohenstein, unbedingt brauchte, um ihr Ziel zu erreichen. Worin auch immer ihr Ziel bestehen mochte.
Dieser Mann jedenfalls, der Amos’ Leben gerettet und seine Eltern getötet hatte, hieß Höttsche Sorgass. Höttsche war von riesenhafterGestalt und hatte Onkel Heribert auf Burg Hohenstein als Räuberhauptmann gedient. Aber Onkel Heribert hatte anscheinend so wenig wie Amos gewusst, dass Höttsche gleichzeitig in Diensten der Bruderschaft stand.
Allerdings war es immer noch möglich, dass Amos sich alles nur eingebildet hatte und Höttsche am Tod von Leanders Eltern unschuldig war. Möglich vielleicht, sagte er sich – doch er spürte deutlich, dass es sich nicht so verhielt. »Meine Eltern sind auf ganz ähnliche Weise getötet worden«, sagte er zu Leander, »vor fast drei Jahren. Wir haben damals in unserem Gutshaus in der Nähe von Wunsiedel gelebt – gar nicht weit von der böhmischen Grenze, wo ihr überfallen worden seid.«
Leander sah ihn von der Seite an, wie es offenbar seine Gewohnheit war. Er hob das Schieferstück und schrieb flugs einige Worte darauf. »Unsichere Zeiten« , las Amos. »Viel Hunger und Aufruhr.«
Auch Conntz Rabensteiner, der Amtmann von Kirchenlamitz, hatte immer behauptet, dass Amos’ Eltern von vagabundierenden Aufrührern getötet worden seien. Aber Amos wusste es mittlerweile besser.
Längere Zeit gingen Leander und er schweigend nebeneinander her. Gemächlich plätscherte das Flüsschen zu ihrer Linken dahin und das Felsbett schien stellenweise beinahe mehr Geröll als Wasser mit sich zu führen. Ihnen voraus versuchte Klara noch immer, Rolfus über Bruder Egbert und seine »frommen Leute« auszufragen, und der kahlköpfige Mann ließ sich weiterhin nichts entlocken. »Du wirst dich wundern«, sagte er nur, oder: »Eine halbe Stunde noch, dann werdet ihr alles sehen.«
Amos warf einen Blick nach hinten: Johannes trottete stumm neben dem Steinmetz Walter dahin. Der kräftig gebaute Mann mit der schulterlangen Haarmähne zog das Maultier mühelos hinter sich her, während Johannes vor Entkräftung schon mehr taumelte als aufrecht ging. Aber eine halbe Stunde lang würde der knochendürre Junge schon noch durchhalten. Und von BruderMeinolf und den Purpurkriegern war glücklicherweise weit und breit nichts zu sehen.
»Vielleicht waren es ja ein und dieselben Mordgesellen«, sagte Amos zu Leander, »die deine und meine Eltern auf dem Gewissen haben?«
Der Blick, mit dem ihn Leander diesmal von der Seite ansah, kam Amos erstaunt und erwartungsvoll vor. Der Junge hob seine Tafel, wischte rasch darüber und schrieb: »Hast du sie gesehen?«
Amos nickte. »Nicht in der Nacht, als sie unser Haus angezündet haben. Aber der Mann, der die Bande angeführt hat, hat mir erst vor Kurzem alles offenbart. Sein Name ist Höttsche, er ist … er war von riesenhafter Gestalt und hatte lange schwarze Haare und einen schwarzen
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