OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
hat viele Jahre im Schreib- und Lesesaal seines Klosters verbracht.« Er ließ Leanders Schultern los und trat zur Seite. »Ich heiße übrigens Rolfus – und nun reicht euch die Hände und macht Frieden.«
Mit seiner Rechten zerrte und zog Rolfus an seinem Silberbart herum, während er aufmerksam zusah, wie Leander und Amossich die Hände gaben. Dann winkte er auch noch Klara und Johannes und den jüngeren Mann mit dem zerfetzten Gewand herbei, den er als »Steinmetz Walter« vorstellte.
Erst nachdem alle einander begrüßt hatten, schien Rolfus zufrieden. »Jetzt können wir weiterziehen«, sagte er. »Stillt vorher nur rasch noch euren Durst und füllt eure Schläuche, falls ihr welche dabeihabt – da drinnen gibt es zwar jede Menge Wasser, aber davon zu trinken ist wenig ratsam.«
Während dieser Worte schaute er zu Amos’ großem Erstaunen zu der Felswand hinüber, die am anderen Ufer des Wildbachs scheinbar bis zum Himmel emporragte.
»Heißt das etwa, dass euer Bruder Egbert in diesem Berg haust?«, fragte Klara.
Rolfus grinste sie an. »Lass dich überraschen, Mädchen.« Er rieb sich die Hände, so als ob er sich schon darauf freuen würde, ihr verwundertes Gesicht zu sehen.
Zu Fuß zogen sie weiter den Saumpfad entlang – Rolfus vorneweg und Walter am Ende ihres kleinen Zugs. Der Steinmetz half Johannes, sein widerborstiges Maultier zu bändigen, und Klara gesellte sich zu dem älteren Mann. Sie versuchte ein ums andere Mal, Rolfus über das Ziel ihrer Wanderung auszuhorchen, aber er ließ sich keinerlei Einzelheiten entlocken. »Wir müssen uns sputen«, wiederholte er nur immer wieder – »aber bloß noch ein kurzes Wegstück, ihr werdet schon sehen.«
Amos bekam es nur mit einem Ohr mit – er folgte mit einigem Abstand der Füchsin, die Klara am Zügel hinter sich herzog, und an seiner Seite befand sich Leander. Der Junge mit den blonden Haaren war noch etwas jünger als Klara und er selbst, vielleicht vierzehn Jahre alt.
Leander schaute ihn von der Seite an. Seine Augen waren von einem hellen, fast wässrigen Grün und sein Haarschopf wies einen stumpfen, ins Gelbliche spielenden Blondton auf. Auch seine Gesichtszüge wirkten derb und bäurisch. Er sah Klara bestimmt nicht besonders ähnlich, aber auf der anderen Seitedann doch wieder – Menschen mit grünen Augen traf man hierzulande eher selten an.
»Wo ist das passiert«, fragte ihn Amos, »ich meine – das mit deinen Eltern?«
Leander begann wild zu gestikulieren – er zeigte mit einer Hand in Richtung Nordosten und malte mit der anderen schroff gezackte Bergketten in die Luft. Doch dann schien er einzusehen, dass er sich Amos auf diese Weise nicht verständlich machen konnte. Er bedeutete ihm, sich einen Augenblick zu gedulden, und zog aus seinem Schulterbündel eine kleine Schieferplatte hervor – ein Bruchstück, wie man es im Fichtelgebirge vielerorts am Wegrand auflesen konnte. Danach förderte er auch noch einen Kreidestift zutage, grinste Amos siegesgewiss an und begann mit verblüffender Flinkheit auf seiner Tafel zu schreiben. »Fichtelgebirge«, entzifferte Amos, »böhmische Grenze – Waldrand – nachts.«
Amos stöhnte innerlich auf. Er hatte es doch gleich geahnt – schon als Rolfus vorhin erwähnt hatte, dass Leanders Eltern umgebracht worden waren: Der Überfall hatte irgendwo in der Nähe von Burg Hohenstein stattgefunden. »Was habt ihr da gemacht?«, fragte er weiter. »Wieso waren deine Eltern und du überhaupt nach Böhmen unterwegs?«
Leander sah an ihm vorbei und zum Bach hinab, der sich mittlerweile zu einem kleinen Fluss verbreitert hatte. Trauer und Zorn verdüsterten sein Gesicht und ließen ihn mit einem Mal viel älter erscheinen. Rasch wischte er mit seinem Hemdsärmel über das Schieferstück und schrieb: »Vater Wundarzt – immer unterwegs – aber diesmal auf der Flucht.«
»Auf der Flucht?«, wiederholte Amos. Er musste sich zwingen, weiterzusprechen, und viel lieber hätte er seine nächste Frage wieder heruntergeschluckt und mit Leander über etwas ganz anderes geredet. Aber sie mussten endlich herausbekommen, was es mit dem Opus Spiritus wirklich auf sich hatte, und darum durften sie ihre Augen vor der dunklen Seite dieser Bruderschaft nicht länger verschließen. »Vor wem seid ihr denn abgehauen?«, fragte er undsein Mund war mit einem Mal so trocken, als ob er Staub geschluckt hätte.
Der andere Junge zuckte mit den Schultern. Keine Ahnung, signalisierte er und machte keinerlei
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