OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
eingehen, wiegelte Amos ab. Aber natürlich hatte Klara recht – er traute Johannes nach wie vor nicht so ganz über den Weg. Und da Johannes über die Fähigkeit verfügte,
Das Buch der Geister
aus beliebigen Entfernungen zu erspüren, durften sie auf gar keinen Fall riskieren, dass er noch einmal unter den Einfluss von Meinolf und den Purpurkriegern geriet. Ganz egal, ob er sich mit Absicht auf die Seite ihrer Feinde schlagen würde oder ihnen auf andere Weise abhanden käme.
Die Männer umwickelten die Hufe der Füchsin und des Maultiers mit Tuchfetzen. Dann setzte sich ihr kleiner Zug abermals in Bewegung. Leander gesellte sich wieder zu Amos und Seite an Seite marschierten sie tief in den Berg hinein. Irgendwann zündeten Rolfus und Walter Fackeln an, doch im flackernden Lichtschein sahen die Männer nur alle aufs Neue beschwörend an, einen Finger auf dem Mund. Offenbar konnte man sie draußen am Fluss noch immer hören.
Alle paar Dutzend Schritte zweigten von ihrem Gang weitere Tunnel ab, die alle ganz und gar gleich aussahen. Für Amos war es rätselhaft, wie Rolfus sich hier drinnen im Gestein zurechtfinden konnte. Und wie lange wanderten sie nun schon in diesem Berg umher? Längst hatte er jedes Zeitgefühl verloren. Leanders und sein eigener Schatten bewegten sich an den Wänden zuckend vor ihnen her. Wie durch eine Traumwelt taumelten sie voran. Das Gestein um sie herum war glitschig feucht und mit Moosgeflecht überzogen. Wasser tropfte unaufhörlich herab und der Aufprall der Tropfen rief eintönige Echos hervor.
In der ersten Geschichte aus dem
Buch der Geister
war Ritter Laurenz ganz ähnlich ins Innere eines Bergs hineingeritten. Aber das hier war wirkliches Gestein, kein in der Fantasie erschaffener Fels, den man allein mit magischer Einbildungskraft durcheilen konnte – das zeigte sich schon daran, dass Amos die Beine allmählichschwer wurden. Auch wurde die Luft immer kühler, und obwohl er die Lammweste aus der Bamberger Herberge trug, begann er zu frösteln.
Endlich schwenkte Rolfus seine Fackel und rief halblaut über die Schulter: »Reden wieder erlaubt! Aber nur leise.«
Mit dem stummen Leander an seiner Seite konnte Amos sich sowieso weder schreiend noch flüsternd unterhalten und für Leanders Schiefertafel war es trotz der Fackeln zu dunkel. Aber die Düsterkeit und das eintönige Tropfen wirkten ohnehin so einschläfernd, dass sie weiterhin alle wortkarg blieben. Sie waren von Tausenden Klaftern nackten Gesteins umgeben, und allein dieser Gedanke hatte für Amos etwas Niederdrückendes, auch wenn die ungeheure Felsmasse ihnen zugleich Schutz bot.
Johannes lag mittlerweile vornübergesunken auf seinem Muli, und er wäre längst elend hinabgestürzt, wenn ihn der Steinmetz nicht mit festem Griff im Sattel gehalten hätte. Ab und an hob er seinen Kopf und jedes Mal wandte sich Klara dann zu ihm und lächelte ihm aufmunternd zu. Offenbar stand sie mit Johannes in ständiger gefühlsmagischer Verbindung und hielt ihn auf diese Weise gleichfalls fest.
Wir müssen ihn loswerden, dachte Amos, so schnell wie überhaupt möglich.
Irgendwann meldete sich Klara. Gleich sind wir da, sagt Rolfus .
Gleich sind wir wo? , fragte Amos zurück.
In der Höhle des Teufels , antwortete eine tiefe, unverkennbar männliche Gedankenstimme, die Amos noch nie zuvor vernommen hatte. Ich ziehe allerdings den früheren Namen dieser prachtvollen Stätte vor: Geistersaal .
Wer spricht da? , fragte Klara.
Sie folgten einer scharfe Linkskehre und unmittelbar dahinter kam eine Höhle von gewaltigen Ausmaßen zum Vorschein. Als ob es plötzlich zu Stein geworden wäre, so starr blieb Klaras Pferd im Eingang des »Geistersaals« stehen. Rolfus trat zur Seite und Amos schob sich an der Füchsin vorbei und verharrte dann gleichfallswie festgebannt. Es war eine ungeheure Felsenkathedrale, mit bizarren Säulen, wulstigen Wandreliefs und hoch aufgetürmten Altären, deren oberes Ende sich in der Dunkelheit verlor. Von unzähligen Fackeln angeschienen, glitzerte und funkelte alles da drinnen wie von Eiskristallen, aber zugleich hallte und schallte es in der ganzen riesenhaften Höhle vom unaufhörlichen Aufprall Hunderttausender Tropfen.
Eine Tropfsteinhöhle, dachte Amos, während sich inmitten des »Geistersaals« ein hochgewachsener Mann von einem Felssockel erhob. Seine Haare waren grau und hingen ihm bis auf die Schultern. Er trug eine zerlumpte, nahezu knöchellange Kutte und sein Gesicht war hager und tief
Weitere Kostenlose Bücher