OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
unentwegt darüber nachgegrübelt, wie er den Vater doch noch befreien, die grässliche Verwirrung auflösen könnte, von der sie alle befallen worden waren.
Doch was immer ihm in den Sinn kam, schien ihm schon im nächsten Moment ganz und gar aussichtslos. Gegen diese unheimliche Übermacht konnte er nichts ausrichten.
»Ein Weg bleibt, um die Deinen zu befreien«, gurgelte einer der Crutsmare, als Laurenz bereits auf den schmalen Stufen zwischen Brennnesseln und Disteln aufwärtsstapfte.
Müde drehte er sich zu ihnen um. »Was für ein Weg?«, fragte er.
»Den Wolfsleuten zuvorkommen«, antwortete ein anderer Crutsmar. »Damit sie euch gar nicht erst gefährlich geworden sein konnten.«
»In alle Gegenwart und Vergangenheit nicht«, erklärte eifrig der dritte Crutsmar.
Laurentius schüttelte den Kopf. »Wie soll das gehen? Welcher Weg führt dorthin denn zurück?«
Der vierte Crutsmar sah ihn sinnend an, ehe er Auskunft gab. »Frag den Fährmann, der stromaufwärts fährt.«
2
A
ls er zu sich kam
, lag er auf Stroh und Decken im Dunkeln. In einiger Entfernung flackerte Fackellicht. Frag den Fährmann, echote es in ihm, während Laurentius’ Welt vor seinen Augen ganz allmählich zerfiel – die Tür zum Geheimgang, auf den Stufen davor die Crutzmare, zwischen Disteln und Brennnesseln halb versteckt.
»Ich bin Amos von Hohenstein«, murmelte er und drehte sich zur Seite. Neben ihm lag Klara und seufzte leise im Traum. Er wollte ihr erzählen, was er eben gesehen hatte, aber sie schlief tief und fest. Ihr Atem fuhr ihm kitzelnd über die Wange. Sie murmelte irgendetwas, das er nicht verstand. Abertausende Tropfen rannen überall in dem gewaltig großen Berg durch Ritzen und Spalten und fielen mit hellem, hallendem Plirren zu Boden.
Amos fühlte sich noch immer benommen, so als ob Laurentius ihn diesmal nicht so einfach in seine eigene Welt zurückkehren lassen wollte. Etwas hielt ihn dort fest, eine unsichtbare Kraft. Obwohl er doch längst aus dem magischen Lesebann erwacht war und seine Augen weit offen waren, sah er noch immer die Rückfront jenes Jagdkastells vor sich – ein wuchtiges Gemäuer, wie aus dicken, gerade so noch durchsichtigen Nebelschwaden geformt. Und dahinter, nur ganz verschwommen auszumachen, das kleine Felsgelass mit Klara an seiner Seite und Johannes, der irgendwo am anderen Ende ihrer Kammer am Boden lag und im Schlaf leise brummte und schnaufte.
Welche magische Gabe diese dritte Geschichte wohl in ihm erwecken würde? Die Fähigkeit, durch Steinwände zu gehen? Das kam Amos ziemlich unwahrscheinlich vor – auch wenn er überhaupt nicht bezweifelte, dass mächtige Magier wie Georg Faust sogar zu solchen Wundertaten imstande waren.
Zu seiner Rechten seufzte Klara abermals auf. Sie warf sich hin und her, dann plötzlich erstarrte sie und sagte klar und deutlich, wenn auch mit zungenschwerer Traumstimme: »Ja, Mutter Sophia – ich komme.« Und gerade in diesem Augenblick wurde Amos in die Welt hinübergerissen, zu der jenes wuchtige Mauerwerk gehörte – und da erst wurde ihm bewusst, dass es nicht das Jagdschloss in Laurentius’ Welt war.
Er fand sich erneut vor dem düsteren Gemäuer, das er letzte Nacht erblickt hatte – in der Vision, die ihm vom Opus Spiritus geschickt worden war. Es war eine abweisende Fassade, mitschmalen Fensterluken in zwei langen Reihen und einem schwarzen, zweiflügeligen Portal.
Zögernd ging Amos näher heran. Wohin auch immer es ihn nun schon wieder verschlagen hatte – offenbar war es hier gleichfalls tiefe Nacht. Nicht ein einziges der zwei Dutzend Fenster dort oben war erleuchtet. Nur der Mond erhellte die Schwärze ein wenig mit seinem geisterhaft bleichen Schein.
Amos ging die drei Stufen zum Portal hinauf und betrachtete unschlüssig den Klopfer, der mitten auf dem Türblatt angebracht war. Es war eine kunstvoll geformte Figur, aus Eisen geschmiedet. Offenbar stellte sie den Erzengel Michael mit dem Flammenschwert dar, das er drohend oder triumphierend emporgereckt hielt.
Etwas stimmte hier ganz und gar nicht, das spürte Amos überdeutlich. Doch er kam einfach nicht darauf, was es war.
Er sah sich nach links und rechts um – anscheinend befand er sich auf einer Art weitläufigem Hof. Die Bauwerke waren im Dunkeln nur undeutlich auszumachen, aber er erkannte Fachwerkfassaden, Ställe und Scheunen – das Ganze ähnelte mehr einem Bauernhof oder einem kleinen Weiler als einer wehrhaft ummauerten Burg. Weiter im Hintergrund ragte
Weitere Kostenlose Bücher