OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
jener hohe Turm auf, mit dem gewaltig großen Kreuz auf der Kuppel, den er auch in der Traumbotschaft letzte Nacht erblickt hatte.
Er hob seine Hand und wollte nach dem Türklopfer greifen, doch zu seinem Erschrecken packte er ins Leere. Es war, als ob er seine Finger bloß wie Krallen eingekrümmt hätte. Als ob der Türklopfer nur aussähe wie aus Eisen geschmiedet – während er in Wahrheit aus Nebel, aus Luft, aus überhaupt nichts bestand.
Amos wurde unheimlich zumute. Was hatte das alles bloß zu bedeuten? Während er noch angestrengt überlegte, begann sich hinter der schwarzen Tür etwas zu regen. Er hörte Stimmengemurmel und Schritte, die rasch und hallend näher kamen. Durch Ritzen unter und neben dem Türblatt sickerte Licht nach draußen und malte ein eckiges, lang gezogenes U auf die Stufen und den Hof.
Dann wurde ein Riegel aufgestoßen und im nächsten Moment schwang mit leisem Quietschen die Tür auf. Ein Lichtschwall ergoss sich nach draußen. Amos machte einen Satz zur Seite, aber die beiden Männer, die hintereinander aus der Tür traten, nahmen überhaupt keine Notiz von ihm. Sie trugen dunkle, bodenlange Gewänder. Beide waren in mittleren Jahren und wohlgenährt. Das Mondlicht spiegelte sich auf ihren blanken Schädeln, die bis auf einen schmalen Haarkranz kahl geschoren waren. Offenbar handelte es sich um Mönche.
In ihr Zwiegespräch vertieft, schritten sie die Stufen hinab und eilten über den Hof davon. »Warum hat er auch nicht auf uns hören wollen?«, sagte einer von ihnen.
Der andere zuckte mit den Schultern. »Jahrelang haben wir ihm Brücken gebaut. Jetzt ist es zu spät.«
Mehr war nicht zu verstehen. Die beiden verschwanden in der Dunkelheit. Doch die Tür, aus der sie gekommen waren, stand noch immer weit offen. Einen halben Schritt hinter der Schwelle stand ein dritter Mönch, in der Hand eine Laterne. Er musste schon weit in den Sechzigern sein und in seinem zerfurchten Gesicht malten sich heftige Zweifel. Amos spürte, wie sehr dieser alte Mönch zwischen widersprüchlichen Gefühlen hin- und hergerissen war.
»Wie konnte es nur so weit kommen?«, murmelte der Mönch. Die Laterne begann quietschend an ihrem Blechgriff hin und her zu schwanken, so sehr zitterte die Hand des alten Mannes mit einem Mal. »Unser heiliges Sponheim!«
Da wurde Amos schlagartig klar, wo er sich befand – und welche magische Kraft die dritte Geschichte in ihm erweckt haben musste. Sponheim hieß das Kloster, dessen Abt Johannes Trithemius war – jener »Bücherpapst«, der sich mit Magie und Geisterbeschwörung so vortrefflich auskannte und allem Anschein nach dem Opus Spiritus angehörte. Und folglich konnte Amos, nachdem er
Vom Felsen, der ein Fenster war
gelesen hatte, zwar nicht wie Ritter Laurenz durch Fels und Wände gehen –aber offenbar konnte er nun auf magischem Weg an weit entfernte Orte reisen.
Während Amos diese Gedanken durch den Kopf wirbelten, trat der alte Mann näher zur Tür und machte Anstalten, sie wieder zu schließen. Wenn er sich alles richtig zurechtgelegt hatte, sagte sich Amos, war es keineswegs bloß ein glücklicher Zufall gewesen, dass die beiden Mönche ihn eben nicht bemerkt hatten. Immerhin hatte er für einen Moment im vollen Licht der Laterne gestanden, aber sie waren nicht einmal zusammengezuckt oder hatten sich auch nur befremdet umgeschaut, als er mit einem Satz ins Dunkel zurückgewichen war. Und das bedeutete ja höchstwahrscheinlich, dass ihn überhaupt niemand hier hören, sehen oder auf sonstige Weise wahrnehmen konnte – auch der alte Mönch mit der Laterne nicht.
Im buchstäblich letzten Augenblick, bevor die Tür ins Schloss fiel, huschte Amos über die Schwelle ins Haus. Zwei Schritte hinter dem Alten blieb er stehen und sah mit angehaltenem Atem zu, wie der Mönch umständlich die Tür verschloss. Er bückte sich ächzend, stellte die Laterne ab und richtete sich langsam wieder auf, wobei er sogar noch lauter ächzte. Mühselig ruckte und zerrte er den Riegel in die Schließe zurück, bückte sich abermals und bekam den verbogenen Laternengriff zu fassen. »Unser heiliges Sponheim«, murmelte er und schüttelte den Kopf.
Amos räusperte sich leise – der Alte zuckte mit keiner Wimper. Amos klatschte in die Hände – der Mönch hielt nicht einmal in seiner Bewegung inne. Eine Hand ins Kreuz gepresst, schlurfte er gebückt auf Amos zu, und der machte wiederum einen Satz zur Seite – wäre er stehen geblieben, wo er stand, dann wäre der
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