Oracoli (German Edition)
rieb sich schnell die Augen trocken und sagte: »Ich hab Dich eine ganze Zeit vermisst. Wie war es denn in Frankfurt?«
»Alles bestens, Mama, am Wochenende bin ich wieder dort. Diesmal mit Herrn Doktor Weiden, einer vom Vorstand. Bis dahin ist mein Auto auch wieder aus der Werkstatt.«
»Äh … Frauke …«
»Ja Mama? Was hast Du?«
»Du wirst mich auslachen, aber ich möchte die Firma Deines Vaters wieder zum Leben erwecken. Die Agentur lief ja zuletzt nicht schlecht. Dafür bräuchte ich allerdings 3000 Euro und …« Frauke musste lachen. »Mama, ich finde das großartig. Mach das, die 3000 kann ich Dir locker vorschießen. Ich stell Dir gleich einen Scheck aus.«
»Danke Schatz«, sagte Cora und fühlte sich gar nicht gut dabei. Dann wollte sie nicht mehr an ihr bevorstehendes Abenteuer denken, deshalb sagte sie, obwohl es drei Uhr morgens war: »Kind, Du hast doch bestimmt auch Hunger, soll ich uns noch was kochen?«
»Oh ja, Mama, haben wir noch eine Packung Orácoli?«
Cora hatte sich am Nachmittag krankschreiben lassen. Dr. Torriani, ihr Hausarzt wusste, wenn Frau Lahn kam, das war selten genug, war sie auch krank. Sein Befund: Cora Lahn war für die nächsten Tage nicht arbeitsfähig. Basta. Nach dem Arztbesuch kaufte sie Anziehsachen für sich und Joschie. Cora musste für den nächsten Schritt ihr Selbstbewusstsein stärken, dazu sollte ihr eine neue Garderobe helfen. Zuhause machte sie sich schick. Auch Joschie machte sie schick, sie erinnerte sich an Ludwigs Warnung, dass man ihn erkennen könnte.
Da standen sie nun vor der "Letzten Instanz", es war Donnerstag, 17 Uhr. Cora trug eine schwarze Wickeljacke mit einer hübsch bestickten Tüllkante, einen aquafarbenen Chiffonrock aus Seide und Pumps. Darüber trug sie einen aquafarbenen Samtmantel. Sie hatte sich eine blonde Perücke aufgesetzt und trug eine elegante Sonnenbrille. In der einen Hand hielt sie eine Handtasche. Coras Gesicht war aufwendig geschminkt. Neben ihr war Joschie an einer Leine gebunden. Er trug eine Schleife über dem Kopf und hatte ein Hundekleid an, beides in aquablau. Cora öffnete die Eingangstür und betrat mit Joschie das Lokal. Der Laden war rappelvoll. Die Gäste unterhielten sich lautstark. Josef, der Wirt bemerkte Cora und ging auf sie zu. Er machte einen Diener. »Guten Tag, wünscht Madame zu speisen?«
»Gerne, wenn der Hund bei mir bleiben darf.«
»Aber natürlich, Madame. Wenn Sie mir bitte folgen, ich habe da noch eine schöne Einzelzelle für Sie.«
»Eine Einzelzelle?«, fragte Cora verstört. »Ja, das sind unsere Tische für eins… äh, einzelne Gäste.« Während sie durch das Lokal liefen, betrachtete der Wirt Joschie. »Ihre Hündin kommt mir irgendwie bekannt vor.« Dann passierten sie die Stelle, an dem Franz Kabachel saß. Für Josef wurde der Moment höchst peinlich: Der alte Mann schlug mit seinem Gehstock nach Joschie, traf ihn aber glücklicherweise nicht. Er traf lediglich den Fußboden neben dem Hund. »Nehmen Sie ihren Sau Köter weg, weg … weg«, schrie er. Joschie war in größter Panik, Cora machte die Leine kürzer, auch sie hatte Angst. »Bleiben Sie einen Moment hier stehen, bitte, Madame«, sagte der Wirt und ging zu seinem Stiefvater zurück. Cora konnte nicht verstehen, was der Wirt ihm sagte, bemerkte aber, wie der Wirt den Alten zusammenstauchte. Dann zerbrach Josef den Krückstock mehrfach über seinem Knie und schmiss die Reste vor des Stiefvaters Schaukelstuhl. Danach ging er wieder zu Cora, die gleichsam mit Joschie, ängstlich dastand. »Pardon, aber mein Stiefvater ist nicht mehr so zurechnungsfähig. Verzeihen Sie Madame.« Der Wirt führte Cora zu einem Tisch am Fenster und half ihr aus dem Mantel. Cora setzte sich. Während Josef ihren Mantel zur Garderobe brachte, studierte Cora die Speisekarte. Der Wirt ging in die Küche und kam mit einem Wassertrog für Joschie zurück. Jedes Mal, wenn er an seinem Stiefvater vorbei kam, ließ Josef ihn durch Drohgebärden zusammenzucken. Cora hatte fast Mitleid mit dem Alten. »Was möchten Sie trinken, Madame?«
»Bringen Sie mir bitte auch ein Wasser«, sagte Cora und lächelte. Später kam der Wirt mit einem Tablett zurück, auf dem eine kleine Flasche Mineralwasser und ein Glas standen. Er stellte das Glas ab und goss es halb voll Wasser, die halbleere Flasche stellte er daneben. »Haben Sie gewählt, Madame?« Cora musste bei ihrer Bestellung schmunzeln. »Ja, als
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