Oracoli (German Edition)
vergittert. In der Mitte des Lokals befand sich eine originale Guillotine aus der französischen Revolution. Das Fallbeil war aus Sicherheitsgründen mit dem Blutgerüst verschraubt. Außer den beiden war noch kein Gast zugegen. Nur ein alter mürrischer, 98 Jahre alter Mann saß in einer Ecke an einem kleinen Tisch und hielt Selbstgespräche. Er war kein Gast. Franz Kabachel war der Stiefvater von Josef Kabachel, dem Wirt. Franz Kabachel saß in einem Schaukelstuhl, er hatte einen Kneifer auf der Nase, trug eine Schirmmütze und einen langen, weißen Bart. Der fehlende Oberlippenbart verriet einen verbitterten Gesichtsausdruck. »Josef!«, schrie er und schlug dreimal, heftig mit seinem Stock auf den Tisch. Die Brüder sahen erschrocken zum Alten. »Setzen Sie sich wohin Sie wollen, der Bengel kommt gleich.« Die Brüder gehorchten, sie setzten sich an die Theke. Nach einer kurzen Weile kam der 70jährige Josef. Der Wirt sah wie ein Spieler, längst vergangener Zeiten, aus: Er war schlank und hatte seine blond gefärbten Haare nach hinten gekämmt. Auf seiner schwarzen Weste waren lauter kleine, silberne Spielkarten abgebildet, in dem linken Täschchen der Weste, steckte eine goldene Taschenuhr, deren Kette am mittleren Knopfloch endete. Der Schnauzer und sein stechender Blick ließen ihn eher wie einen 50jährigen erscheinen. »Machen Sie uns zwei Pils, bitte«, sagte Siegfried. »Natürlich, möchten Sie auch speisen?«
»Nein, vielleicht später, aber Sie könnten uns eventuell weiterhelfen. Wir sind auf der Suche nach unserem Vater.« Der Wirt schaute Siegfried misstrauisch an. »Wie heißt er denn?«
»Georg Scheiber.« Natürlich, der Wirt kannte Schieber, doch er hörte zum ersten Mal, dass Schieber Kinder haben soll. Josef Kabachel zog es vor, unwissend seine Schultern zu heben. Die Herren könnten von der Schmiere sein … Plötzlich ergriff sein Stiefvater das Wort: »Ach, Schieber meinen Sie, der Penner wohnt in seinem Schrebergarten — Bergmannsonne glaub ich, so heißt die Anlage.«
Ludwig und Schieber saßen beim Bier auf der Eckbank. Die Laube war durch die gute Isolierung angenehm kühl. Draußen herrschten 38 Grad im Schatten. »Ach Lu, ich helfe Dir gerne, aber Joschie und mir geht es gut, wir beide drehen kein Ding mehr«, sagte Schieber und streichelte seinen Hund. »Nicht wahr Joschie?« Dann richtete Schieber wieder seinen Blick auf Ludwig. »Also, Du musst Kontakt mit Schrauber aufnehmen, der ist Dein Dagobert. Schrauber baut die tollsten Geräte, und Geldübergaben funktionieren nur über Geräte. Geldübergaben über Personen enden zu hundert Prozent im Knast … dann brauchst Du noch jemanden für die Geldwäsche, dafür nimmst Du Ariel. Ariel verwandelt Wasser in Wein. Durchnummeriertes Geld, Goldbarren, Falschgeld, das alles ist für Ariel kein Problem. Und was ganz wichtig ist: Ariel bescheißt Euch nicht, er macht für seine Aktionen faire Preise. Und wenn Du die beiden für Dein Vorhaben gewonnen hast, brauchst Du noch einen fürs Internet … ja, da guckst Du, was? Aber die Zeit bleibt auch für uns nicht stehen. Fürs Internet käme eigentlich nur Magnus Saturn in Frage.«
»Magnus Saturn?«
»Ja, das ist ein schlauer Bengel, er ist der Sohn von Radio-Ede, … der ist leider vor fünf Jahren gestorben. Aber der Junge hat genau so gute Ideen wie sein Vater. Was Ede damals mit seinen Röhren zauberte, macht der Bengel mit Bits und Bytes, oder wie die Dinger heißen.«
»Warum denn das Internet, Schieber?«
»Ich weiß nicht so viel darüber. Aber ich hab' mal so einen Film gesehen, da ging es auch um Erpressung. Das hat mich sehr beeindruckt, wie die Gangster die Bank und die Polizei mit dem Computer ausgetrickst haben. Das Internet musst Du Dir so vorstellen: Du bist auf der Flucht. Für die Flucht benutzt Du das weltweite Eisenbahnnetz. Gleichzeitig musst Du Dir vorstellen, dass die Schienen auch die Meere und Seen überqueren. Wenn Du dann noch einen guten Lockführer hast, in unserem Fall heißt er Magnus Saturn, bringt er Dich im Bruchteil einer Sekunde von Dortmund nach Tokio.«
»Das ist doch Quatsch, Schieber, wie soll das denn gehen?«
»Genau so, als ob Du betest und mit Gott sprichst.«
»Jetzt hör aber auf. Ich hab' zwar auch keine Ahnung davon, aber dass man damit durch die Weltgeschichte reisen kann, glaube ich Dir nicht. Ich weiß wohl, dass man damit Geld bewegen kann.«
Schieber kratzte sich den Hals
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