Oracoli (German Edition)
nur durch die Sonne, die an diesem Abend noch fast ihre ganze Kraft besaß. Sie fühlte sich auf einmal wieder hilflos und alleine. Das Unternehmen kam ihr plötzlich so gewaltig und zu schwierig vor. War sie der Sache tatsächlich gewachsen?
»Die Dinge sind zu kompliziert, um sie Ihnen jetzt zu erklären. – Ich vermute, dass sich Schieber dabei etwas dachte, als er Sie vorschlug … denken Sie in Ruhe darüber nach. Falls Sie mit einsteigen und … und wir sollten wirklich Erfolg haben, wird Ihr Anteil 50.000 Euro betragen«, kam es leise aus ihr heraus.
Cora überreichte auch ihm eine Visitenkarte. »Am Samstag um 15 Uhr treffen sich alle, die mitmachen, bei mir.« Schrauber sah sich die Visitenkarte an, während Cora, die sich nicht mehr wie ein Boss vorkam, gesenkten Hauptes mit Joschie langsam in Richtung Auto lief. Cora setzte sich in den Wagen, riss sich die Perücke vom Kopf, warf sie in den Fußraum, kurbelte die Rückenlehne zurück und machte die Augen zu.
»Mist, Mist, Mist«, fluchte sie. Worauf hatte sie sich eingelassen? Cora hätte jetzt am liebsten geschlafen. Für immer. Wie sollte sie das ganze durchziehen, wenn sie schon bei der Suche nach den geeigneten Leuten versagte. Sie spürte Joschie neben sich, der sie trösten wollte indem er ihr die Hand ableckte. Warum ist Katie jetzt nicht da? Ihr würde sie sich anvertrauen. Katie würde ihr mit ihrem unverrückbaren Optimismus mit Rat und Tat zur Seite stehen. »Wie erreiche ich Ludwig?« Sie war den Tränen nahe. Das alles war eine Nummer zu groß für sie. Morgen würde sie diesen Clown vom Finanzamt anrufen. Sie hatte die Nase gestrichen voll. Raub, Erpressung … Sie wollte gerade einschlafen … »Ich bin dabei. Ich bin am Samstag bei Ihnen«, sagte Schrauber, der an Coras offener Tür stand. Cora richtete sich auf und sprang wie eine Feder aus dem Wagen. Sie musste sich zusammenreißen, am liebsten wäre sie ihm um den Hals gefallen. »Ich … ich freue mich, Herr Schrauber«, sagte sie strahlend. »Bis Samstag, Herr Schrauber … bis Samstag. « Sie gab ihm die Hand und stieg wieder ins Auto. Cora ließ den Motor an und kurbelte die Lehne hoch. »Nur Schrauber, nicht Herr«, rief er ihr noch hinterher, als sie losfuhr. Dann kratzte er sich den Kopf und fragte sich, wie aus den langen, blonden Haaren so plötzlich kurze, blonde Haare werden konnten. Er fragte sich, ob er vielleicht an Alzheimer leidet.
Dank Schrauber hatte sie erneut Mut gefasst. Cora war überglücklich. Jetzt wollte sie auch den letzten Ganoven, der auf ihrer Liste stand, besuchen. Nun gefiel ihr plötzlich wieder die Rolle als Unternehmerin, die Geld versprach, das sie nicht hatte. Joschie lag auf dem Beifahrersitz, als sie den Dortmunder Stadtplan aufschlug und die Straße suchte, in der Bernd Sticht wohnte. »Die dritte rechts«, sagte sie gutgelaunt zu Joschie, der tief schlief. Dann, um 21 Uhr, erreichte sie endlich das Haus von Ariel. Cora ließ Joschie schlafen und begab sich zum Hauseingang. Sie drückte die einzige Klingel. Nach kurzer Zeit öffnete ein älterer Herr die Tür: Bernd Sticht alias Ariel war um die 80, er hatte lange, weiße Haare und einen schlanken Körper. Cora musste zwangsläufig an den Doc aus "Zurück in die Zukunft" denken. Hinter ihm erschien seine Frau Marietta, eine Italienerin. Marietta maß zirka 1 Meter 50, war ein wenig mollig und hatte silbergraues Haar. Beide trugen weiße Kittel und sahen wie ein Forscher-Ehepaar aus, das gemeinsam Experimente durchführte. Cora musste lächeln, als sie das Paar sah. Der Kochlöffel in Mariettas Linken verriet ihr aber, dass Marietta gerade kochte. Und Ariel, in dessen rechtem Auge eine verstaubte Lupe steckte, bestätigte nur Coras Liste; darin wurde Ariel als Geldwäscher und Experte für Edelsteine beschrieben. Der fantastische Geruch eines italienischen Gerichtes beschleunigte Coras Speichelfluss, sie bekam schon wieder Hunger. Die Aufregungen ihrer Rolle als werdende Chefin einer Gaunerbande hatten schneller als gewöhnlich ihre Kalorien verbrennen lassen. »Guten Abend, entschuldigen Sie die späte Störung. Mein Name ist Cora Lahn. – Lu schickt mich.«
»Ohahaha Lu, den gibt's noch? Ohahoho. Der alte Gauner ist nicht tot zu kriegen, nicht wahr? Und Sie schickt er, so, so.«
»Wer isse dasse, Bernino?« Ariel winkte nach hinten ab. »Ist für mich, Marie, ist 'ne Bekannte von Lu«, sagte er nach hinten, dann wieder zu Cora gewandt: »Kommen Sie …
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