Oracoli (German Edition)
Kaufmann Ignaz Lungen aus Aachen.« Sie lächelte Magnus an. »Wenn Sie die sehen möchten, dann müssen Sie mir in den Tresorraum folgen.« Die Frau führte Magnus zu einer vergitterten Tür, dort gab sie einen Code in den Zahlenblock ein, der neben der Tür in der Wand eingelassen war. Mit einem Klick öffnete sich das Schloss. »Folgen Sie mir bitte.« Im Eingangsbereich stand ein Regal mit Kisten. Die freundliche Dame griff in eine der Kisten und entnahm ihr zwei Paar, weiße Stoffhandschuhe. Sie zogen sie über und betraten einen schlauchförmigen Raum. Magnus entdeckte vier Videokameras an der Decke, in jeder Ecke eine. Der fensterlose Raum war durch Neonröhren hell erleuchtet. Magnus setzte sich auf den einzigen Stuhl vor einem kleinen Tisch und wartete auf die Bibliothekarin, die in einen Nebenraum verschwand.
Nach einer Weile kam sie mit einem Rollwagen zurück, auf ihm lagen zehn Kontobücher. Sie gab Magnus noch einen Mundschutz. »Hier sind die Kontobücher; wenn Sie Fragen haben oder heraus möchten, dann drücken Sie einfach den Knopf neben der Tür.« Magnus bedankte und vermummte sich brav. Als sie den Raum endlich verlassen hatte, nahm Magnus das erste, ein zirka DIN A 3 großes Buch und öffnete es. »Bingo«, sagte er grinsend und war froh, vermummt zu sein, als ihm die Kameras wieder zu Bewusstsein kamen. Zufrieden stellte er fest, dass jeweils das erste Blatt der Bücher ein Deckblatt und unbeschrieben war. Der so genannte Schmutztitel. Magnus hatte eine Rasierklinge in der Hand, damit fuhr er schneidend an dem Buchrücken entlang. Es sah aus, als lese er. Dann drehte er das Buch mit dem Deckel zu den zwei Kameras, hielt ihn fest und ließ das Blatt unterm Tisch verschwinden, dort faltete Magnus die Seite mit einer Hand. Seine breiten Schultern nahmen den hinteren Kameras die Sicht. Magnus hat vorher seine Arme und Beine mit Einmachglasgummis präpariert, unter die er die gefalteten Blätter steckte. Dass er die Bücher ständig, wie einen geöffneten Laptop vor sich liegen hatte, machte dem Wachpersonal nur klar, dass es sich hier um einen Profi handelte, der die Schnittkanten der Bücher überprüfte. Das Überprüfen war für das Wachpersonal typisch, zumal meistens Händler zugegen waren, die die Ware weiterverkaufen wollten.
Nach vierzig Minuten war er fertig. Magnus drückte den Knopf neben der Tür, kurze Zeit später öffnete ihm die Bibliothekarin die Tür. »Und, gefallen Ihnen die Bücher?«
»Ja, die sind wirklich in einem tadellosen Zustand, was soll denn eines kosten?«
»Wenn, dann verkaufen wir sie nur alle zusammen … die können Sie für 9.000 Euro erwerben.«
»Ich denke darüber nach, herzlichen Dank vorerst für Ihre Mühe.« Damit verließ Magnus das Antiquariat. ›Der Käufer, der die Bücher letztendlich erwirbt, wird ordentlich den Preis drücken wollen, wenn er die fehlenden Deckblätter bemerkt‹, dachte Magnus.
Cora stand, in einen weißen Kittel gehüllt, vor der Staffelei und malte mit höchster Konzentration das Gesicht eines Jungen, der im Vordergrund des Bildes steht. Die Frühlingswiese mit den Schatten der jungen Frau und des Knaben sowie den Sonnenschirm hatte sie schon auf die Leinwand gebracht. Cora war nicht alleine im Atelier. Magnus saß am Tisch und faltete genüsslich die Deckblätter auseinander. Mit einer Lupe suchte er Zentimeter für Zentimeter das Papier nach Alterungsspuren ab. »Cora, schauen Sie sich die Papierbögen an. Die sind fantastisch … das ist ein wahrer Schatz.« Nachdem Cora den Pinsel zu den anderen in ein Glas mit Terpentinersatz tauchte und ihr angefangenes Werk aus drei Meter Abstand betrachtete, lächelte sie. Ich habe nichts verlernt, stellte sie zufrieden fest. Dann ging sie zu Magnus, der über dem Tisch gebeugt stand, um seine Beute unter die Lupe zu nehmen. Cora nahm eines der Blätter in die Hand und hielt es gegen das Westfenster. »Da sind ja lauter Löcher drin«, stellte sie entsetzt fest. »Ja genau … und Wasserzeichen. Cora, die sind wie geschaffen für unsere Zwecke.«
»Ich kann darauf aber nicht locker zeichnen, ich werde mich ständig an den Löchern verheddern.«
Magnus setzte sich hin, grinste spitzbübisch und nahm ein Blatt Kopierpapier von dem Stapel, der vor ihm lag. Davon riss er ein kleines Stück ab, steckte es sich in den Mund, kaute darauf herum und rollte das feuchte Papier zu einer kleinen Kugel zusammen. Die presste er in eines der Wurmlöcher.
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