Orangenmond
hattest du als kleines Mädchen schon mächtig die Buxen voll!«
Eva stöhnte unhörbar, deswegen wollte Milena nicht im Trichter schwimmen, sie hatte das Gefühl, den kleinen Menschen ihre Höhle weggenommen zu haben.
Als sie dann später zusammen vor den Gästetrulli in der hereinbrechenden Dunkelheit saßen, ging mit einem Mal der Mond vor ihnen auf, so nah und orangefarben, wie sie ihn beide noch nie zuvor gesehen hatten.
»Guck dir das an!«, hatte Milena geflüstert, während der riesige Ball sich über die Kronen der Olivenbäume schob. »Hier sind wir dem Universum ganz nah, der Orangenmond zieht uns in seinen Bann, gibt uns Energie!« Sie hatte ihre Hand genommen und festgehalten. »Eva, gib es endlich zu, hier kann man doch nur glücklich sein!«
O Gott, dachte Eva, wenn wir doch schon alles verkauft hätten!
2 3
Die A25 stieß vor Pescara auf die A 1 4, die grünen Schilder stellten sie vor die Wahl: nach Ancona oder Bari. Georg ordnete sich in den Abzweig Richtung Süden ein. Kurz darauf sahen sie endlich wieder das Meer.
»Da sind wir ganz gut Zickzack gefahren«, sagte er. »Von der Adria rüber bis fast zum … äh, wie heißt das Meer vor Rom? Ist das einfach nur das Mittelmeer?«
»Tyrrhenisches Meer«, sagte Emil von hinten.
»Mit was für Wissen sie euch heute in der Schule voll stopfen, Emil!« Helga schnalzte vorwurfsvoll mit der Zunge. Emil grinste und hielt Eva eine Wissens-CD vor die Nase, »Meere unserer Welt«.
»München, Forlì, Pesaro, dann einmal quer rüber nach Rom und wieder zurück auf die andere Seite. Über zweitausendfünfhundert Kilometer.«
Aber auch noch dreihundert Kilometer bis Bari und von dort bis Ostuni knappe neunzig. Georg hatte jetzt keine Muße mehr, hinter betagten Cinquecentos herzukriechen, er gab Gas und überschritt die zulässigen hundertzehn Stundenkilometer, wo immer es möglich war. Die A14 zog sich an der Küste dahin, sie kamen gut voran, passierten zweieinhalb Stunden später Bari, seine hässlichen Hochhaustürme, Industriehallen und Autofriedhöfe. Hier mussten sie die Autobahn verlassen, vorher aber noch an einer Mautstation zweiunddreißig Euro zahlen.
Die Strada Superiore 16 war ein bisschen schmaler, unterschied sich sonst aber kaum von der Autobahn. Auch hier kein Oleander mehr, stellte Eva fest, er schien auf allen Autobahnen des Landes ausgerottet. Noch achtzig Kilometer, noch siebzig. Richtung Brindisi stand jetzt auf den Schildern.
Als sie die ersten zu Steinstümpfen abgeschliffenen Trulli wiedersah, verteilt zwischen einzelnen Olivenbäumen, verloren auf der riesigen Fläche rotbrauner Erde, wurde Eva plötzlich ganz aufgeregt, sogar ihr Herzschlag beschleunigte sich.
Hier, kurz vor Polignano a Mare, fängt für mich das wahre Apulien an, das Trulloland, ging ihr durch den Kopf. Vielleicht weil diese Trulli dicht am Meer schon so alt sind und der Himmel ab dieser Stelle immer klarer, reiner und so apulisch wie sonst nirgendwo wirkt.
»Die Luft ist so verdammt sauber, ich bekomme immer erst mal Husten, wenn ich hier unten bin«, hatte Milena behauptet. »Meine Lunge ist so viel Sauerstoff nicht gewöhnt!«
Eva zählte an den Fingern ab, wie oft sie schon nach Bari geflogen war, um vom Flughafen die neunzig Kilometer nach Ostuni mit einem Leihwagen zurückzulegen. Das erste Mal, um Milena die Trulli auszureden, das zweite Mal, um das von Mimmos Baukunst Geschaffene aufrichtig zu bewundern und einzurichten.
In den drei Jahren vor der Hochzeit waren sie mindestens zweimal im Jahr zusammen unten gewesen. Kleine Fluchten zwischen Milenas Drehs, meistens hatte sie drei Drehbücher zum Prüfen und eins zum Lernen dabei. Vier, fünf Tage, eine Woche; ein ganz anderes Leben unter dem blauen Himmel, in brennend klarer Luft und selbst gewählter Einsamkeit.
»Ich finde das schön, so alleine mit dir, nur dann kann ich wirklich relaxen«, hatte Milena ihr anvertraut. »Mit Männern ist das immer so schwierig, vor allem im Sommer, wenn man den ganzen Tag nur nackt rumläuft. Ich glaube, du weißt, was ich meine.« Sie hatte ihr lautes Lachen gelacht und es heiser ausklingen lassen.
Was Milena mit ihren wechselnden Freunden und Geliebten in den Trulli tat, konnte Eva meistens nur an den Schäden ablesen, die sie hinterließen. Eine kaputte Pumpe, da Micha den Gartenschlauch nicht abgestellt hatte und tausend Liter Wasser über Nacht unbemerkt unter die Olean der flossen, bis die Zisterne leer und die Pumpe trocken gelaufen war. Steve
Weitere Kostenlose Bücher