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Orangenmond

Orangenmond

Titel: Orangenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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Tod, wie so oft, doch von den Kleidern hatte sie nichts gewusst.
    »Niemand weiß davon. Ich habe alles, was mir am meisten an ihr gefallen hat, dort hineingepackt. Zwei ihrer Premierenkleider mit den wahnsinnigen Ausschnitten, weißt du, das grüne und das rote. Ihre hübscheste Unterwäsche, das lange schwarze Jackett von Max Mara, in dem ich sie kennengelernt habe … Ich habe die Sachen einvakuumiert, mit dem Staubsauger. Sie sollen ewig halten, ihr Geruch soll für immer darin bewahrt werden. Wenn ich Milena zu sehr vermisse, hänge ich meine Nase über den geöffneten Plastiksack oder wühle darin herum, hole etwas davon hervor, schließe die Augen und bin bei ihr.«
    Eva zog die Nase hoch. Wusste er noch, dass sie neben ihm saß?
    »Ich heule dann manchmal vor Wut und frage mich, warum sie nicht weiterleben durfte. Milena hätte so gern weitergelebt, sie war beinahe süchtig nach Leben.« Ja, sie hat alles in die paar Jahre gepackt, dachte Eva. »Wie oft habe ich mir vorgestellt, die Zeit zurückzudrehen. Doch ich habe den Tod nicht kommen sehen, war unvorbereitet, unbewaffnet.«
    »Ja, Scheiße! Ich weiß doch«, sagte Eva aus vollem Herzen. Wieder und wieder hatte Georg ihr den genauen Ablauf erzählt.
    An besagtem Morgen um sechs, kurz vor Weihnachten, kurz vor Emils Geburtstag, war Milena im Bad zusammengebrochen. Schon am Nachmittag zuvor hatte sie sich übergeben, dann Durchfall bekommen. Sie lag im Bett, war käsig im Gesicht und ganz schwach, aber sie lachte noch und machte Witze, dass sie sich an der Brille festhalten müsse, um nicht ins Klo zu fallen.
    Als Georg sie aus dem Bad rufen hörte, hatte er das Telefon schon dabei.
    »Ich rufe jetzt den Notarzt«, hatte er zu ihr gesagt, »irgendwas stimmt da nicht! Die geben dir was oder hängen dich an den Tropf. Du bist dehydriert, glaube ich.«
    Der Notarzt kam zusammen mit den Sanitätern, hängte Milena tatsächlich sogleich an einen mobilen Tropf und wollte sie zur Sicherheit mit in die Alsterklinik nehmen.
    »Dann bist du in ein paar Tagen wieder fit«, beruhigte Georg sie, »für Emils Seeräuberparty und unsere Heiligabendparty.« Immer luden sie Heiligabend ein paar Freunde ein, spät, wenn deren Bescherung und Elternstress hinter ihnen lagen. Großartige, legendäre Feste, das erste, als Emil gerade geboren war. Wie schafft ihr das bloß mit dem kleinen Kind?, wurde Georg einmal gefragt, als Eva dabeistand.
    Wir schaffen nichts, hatte Georg erwidert, wir sind einfach nur überglücklich und immer wieder erstaunt über dieses Wunder von Kind. Und uns.
    Die Sanitäter legten Milena auf die Trage. Sie lächelte Georg an, drückte seine Hand. »Tut mir leid, dass du jetzt alles alleine machen musst«, flüsterte sie. Ob sie da schon geahnt hat, was mit ihr passieren würde?, hatte er sich später wohl an die tausend Mal gefragt.
    »Ach was, du wirst schön mithelfen. Ohne deine Toma ten-Aprikosensuppe geht hier Weihnachten sowieso nichts«, scherzte er und sagte, dass er eben Heike Bescheid geben werde. Heike wohnte damals zwei Häuser weiter, studierte immer mal wieder etwas anderes und passte manchmal auf Emil auf. Georg drückte Milenas Hand. »Ich komme gleich mit dem Auto hinterher.«
    Nur zwanzig Minuten später, Heike saß im Bademan tel mit einem Becher Kaffee auf der Couch, traf er in der Kli nik ein.
    Da war Milena schon tot.
    Eva hatte bis heute nicht richtig verstanden, warum sie ihr nicht doch noch helfen konnten. Angeblich totales Organversagen. Die fehlende Milz war ihr zum Verhängnis geworden. Irgendwelche bösartigen Bakterien waren durch sie hindurchgerast, hatten alles in ihrem geschwächten Körper angegriffen, was sie bekommen konnten, nicht gestoppt durch dieses unscheinbare kleine Organ, das dennoch so wichtig ist.
    Durch Georgs zahlreiche Monologe in ihrem Bett wusste sie, wie es dann weitergegangen war.
    »Ich legte mich zu ihr, hielt sie umarmt, ihre Haut war noch weich, ihr Körper noch warm. Ich sprach mit ihr, erzählte ihr die schönsten Stellen aus dem Film unseres ge meinsamen Lebens. Verdammt, Milena, sagte ich irgendwann, ich glaube, es gibt nur schöne Stellen. Ich lachte und weinte. Der Schmerz haute mich ungedeckt zu Boden, er machte komische Sachen mit mir. Ich war sogar wütend auf meine tote Frau, weil sie mich verlassen hatte. Ich wusste, dass alles, was jetzt kam, ein plumper, unvollständiger Ersatz für mein Leben mit ihr sein würde. Und ich fand das richtig so, nur so war sichergestellt, dass ich sie

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