Orangenmond
dachte sie. Immer habe ich gehofft, dass irgendwann alles anders wird. Seit zehn Jahren warte ich auf Georg, und nun hat er endlich gesagt, dass er damals einen Fehler gemacht hat. Sie weinte ein paar Tränen in die feine Baumwolle des Kopfkissenbezugs, wusste nicht genau, ob nun vor Glück oder Trauer, und schlief ein.
Am nächsten Morgen wurde sie um neun Uhr dreizehn von einem Anruf geweckt.
»Papa geht es schlecht, aber er will trotzdem heute weg aus Perugia. Kommst du mit ins Wellen-Ness-Bad, Eva? Wenn wir jetzt nicht gehen, schaffen wir es nicht mehr!« Emils Stimme hallte in ihrem schmerzenden Hirn, das bis zur Hälfte mit einer zähen Masse gefüllt zu sein schien. Er hatte sich direkt an sie gewandt, er hatte sie um etwas gebeten!
»Emil! Gut. Ja.« Ihre Hand mit dem Hörer zitterte. O Gott, so fing das bei Alkoholikern vermutlich auch an. »Gib mir bitte ein bisschen Zeit, okay? Wann fahren wir?« Der Geschmack in ihrem Mund war pappig und schrie nach einer Zahnbürste mit viel Zahnpasta.
»Ich weiß nicht«, flüsterte Emil, »Papa ist unter der De cke, man kann ihn nicht sehen. Wenn ich ihn jetzt frage, wird er sehr sauer.«
Nächster Anruf, zehn Minuten später. Georg mit einem tief gurgelnden, heiseren »Guten Morgen!«.
»Hallo!« Sie lachte und spürte gleichzeitig ein aufgeregtes, ängstliches Zucken in ihrer Brust. Alles war anders, alles würde anders, er konnte wahrscheinlich auch nur noch an ihre gegenseitigen Geständnisse denken.
»Kannst du mit Emil losgehen?« Seine Stimme klang nicht mehr tief, sondern nur noch schwach. »Also nur, wenn du in der Lage bist. Er möchte so gerne die Minimetro sehen.«
»Eben wollte er noch Wellen-Ness machen – jetzt die Minimetro.«
»Du warst es doch, die ihm gestern davon erzählt hat.«
Und du warst es, der gestern mit dem Küssen wieder angefangen hat, dachte sie.
»Das heißt doch nicht, dass ich sie ihm jetzt zeigen muss.« Die Perugia-Offenheit, von der Georg vergangene Nacht so geschwärmt hatte, sprach offenbar immer noch aus ihr. »Ich habe Kopfschmerzen!«
»Sorry, das sollte sich nicht so anhören. Ich habe auch Höllenkopfschmerzen, aber mir ist außerdem auch noch richtig schlecht. Was haben wir bloß alles getrunken, Eva?«
»Ich habe proportional zu meinem Körpergewicht mehr getrunken als du, aber lass uns bitte nicht mehr über Alkohol reden! Wo ist denn Helga, könnte die nicht …?«
Er stöhnte. »Helga lässt sich im Keller massieren.«
»O Gott.« Als Oma ist sie ja ein völliger Ausfall, dachte Eva. »Ach übrigens, Georg! Bevor wir nach Rom fahren, solltest du den Kameramann anrufen.«
»Wer weiß, ob die Nummer auf der Stabliste noch stimmt.«
»Besser, das jetzt festzustellen als dort, oder? Der dreht bestimmt irgendwo.«
»Stimmt«, sagte Georg nachdenklich. »Kameramänner sind eigentlich nie zu Hause in ihrer Stadt.«
»Wann fahren wir? Brauchen wir da nicht auch ein Hotel …? Und was ist mit Elio, dem Schauspieler? Vielleicht sollten wir bei seiner Agentur anfragen.«
»Eva?«
»Ja?« Was jetzt wohl kam? Ich bin ein Idiot. Ich hätte dich nehmen sollen, klang in ihren Ohren.
»Ich. Mache. Das. Alles. Aber später, okay?«
»Sag Emil, ich hole ihn in einer Viertelstunde ab.«
Sie stand auf, duschte heiß, putzte sich währenddessen die Zähne, duschte kalt, nahm eine Kopfschmerztablette, verzichtete auf das Frühstück, da ihr Magen allein bei dem Gedanken an Kaffee oder Orangensaft rebellierte, und zog mit Emil los. Auf ihrem Kopf saß Helgas schwarzer Basthut, der irgendwie in ihre Tasche geraten war, ihre Augen versteckte sie hinter der Sonnenbrille. Reza Jafari musste sie nicht unbedingt gleich erkennen, wenn er ihnen zufällig begegnen sollte. Auch Emil, der schon vor ihrer Tür wartete, hatte seine Kappe auf. Zusammen gingen sie zur Minimetro-Station, die unterhalb der Rocca Paolina lag.
Die zehnköpfige Reisegruppe aus Neuseeland, die sich gemeinsam mit ihnen in die schmale silberne, innen feuerrot gestrichene Kabine drängte, hatte irgendwas mit viel Knoblauch gegessen und dünstete ihn nun um die Wette aus. Eva atmete flach durch den Mund. Emil stand vorn in der führerlosen kleinen Box und beobachtete ihre schwebende, fast geräuschlose Fahrt abwärts durch die Tunnelröhre. Ab und zu drehte er sich um und grinste ihr zu.
Ich hätte Georg zwingen sollen mitzukommen, dachte Eva. Ich will, dass er bei mir ist. Auch verkatert, auch mit Fahne. Wenn sie an ihn dachte, machte ihr Herz einen kleinen
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