Orangenmond
und Radicchio auf Evas Teller wollte er nichts mehr. Zu einem serpentone , einem mit getrockneten Pflaumen, Feigen und Pinienkernen gefüllten Schlangenkuchen, ließ er sich dann aber doch überreden. Raffaele brachte ihn persönlich aus der Küche, obwohl sie nicht einmal beim secondo piatto angelangt waren.
Eva war dennoch glücklich. Georg hatte auf dem Weg zum Restaurant ihre Hand genommen und heimlich geküsst, er hatte sich beim Hineingehen an sie gedrängt, die winzige, unbeobachtete Sekunde genutzt, um sie zu schubsen und sich lachend an sie zu drücken, bevor sie an einem der rus tikalen Tische Platz genommen hatten. Kaum hatte er jedoch seine sehr bäuerlich wirkende minestrone di farro probiert, war er mit dem Teller zu dem jungen Koch in die Küche verschwunden. Er konnte nicht anders, musste Rezepte erfragen und notieren, Fotos machen. Da saß sie nun mit einem schweigenden Kind und einer extravaganten älteren Dame. Doch Eva war glücklich, da blieb auch noch etwas für Helga übrig. Sie lächelte ihr zu. Helga lächelte über ihren Teller Gnocchi mit Kürbiscreme zurück.
»Du siehst ja schon ganz erfrischt aus!«, sagte sie. »So ein Luxushotel ist eben nicht teuer, wenn man den Erholungswert betrachtet. In einem Haus der unteren Kategorie ärgert man sich doch nur, und diesen Ärger muss man dann auf den eingesparten Preis draufschlagen.«
Eva nickte. Sie wollte in diesem Moment nicht an ihren Kontostand denken, der durch die Reise ziemlich sinken würde. »Was war eigentlich gestern mit deinem Konto?«, fiel ihr bei dem Thema wieder ein. Georg hatte nichts darüber gesagt, als er zurückkam, und sie hatte nicht gefragt, hatte Helgas Probleme über ihren eigenen vergessen. Manchmal machte sie sich um die ganze Welt Sorgen, dann wieder blendete sie andere Menschen komplett aus, fast schon asozial.
»Ach, ich wollte meine Umsätze aufrufen, aber ich kam gar nicht rein.«
Hatte Helga Umsätze? Was tat sie eigentlich den ganzen Tag außer in ihrem Blog schreiben?
»Zu viele Fehlversuche stand da. Daraufhin habe ich meine Kreditkarte ausprobieren wollen, unten im Hotel. Ging aber auch nicht.«
»Und was hat Georg dann …?«
»Er hat die etwas patzige Mitarbeiterin an der Rezeption zum Schweigen gebracht und meine Karten telefonisch gesperrt, wegen der Fehlversuche. Sicher ist sicher.« Sie trank ihr Weinglas in einem Zug halb leer. »Zahlen kann ich auf dieser Reise nichts mehr …! Auch wenn ich’s wollte.« Sie lachte ihr übertriebenes Zahnlachen. »Weißt du, Eva«, fuhr sie fort, »ich bin ja nur froh, dass der Georg dann doch noch Geld von Henry, seinem leiblichen Vater, bekommen hat. Ich habe während der Jahre keinen Pfennig gesehen, aber wenigstens im Nachhinein. Nun, ich hab’s ihm gegönnt. Stell dir vor, Milena wäre auf ewig die gut verdienende Lady gewesen, die die Knete nach Hause bringt!«
»Na ja, Hauptsache, einer verdient, oder?«, schwächte Eva ab.
»Nein! Trugschluss, Eva, großer Trugschluss! Eine Frau darf schöner, klüger und meinetwegen auch berühmter sein als ihr Mann. Doch Männer, die nicht wenigstens gleich viel verdienen wie ihre Frauen, die fühlen sich kastriert, die werden unzufrieden!«
Da bestand bei deinen Männern keine Gefahr, dachte Eva, du hattest ja nie Geld.
»Verdammter Zaster«, fing Helga wieder an, als ob sie ihre Gedanken gelesen hätte. »Ich habe meinen Männern nie von meinem reichen Elternhaus erzählt. Oder von meinem Bruder, der meine Anteile für mich ›sicher aufbewahrte‹, wie er immer sagte. Obwohl«, sie streckte einen Zeigefinger in die Luft, »als meine beiden Ehemänner mit ihren Geschäften Bankrott machten, habe ich nicht für sie bürgen müssen. Weil sie nichts von meinem Reichtum wussten, haha! Sonst wäre ich heute längst pleite. Ich meine, so richtig pleite …« Sie kicherte und sah plötzlich wieder so verschmitzt und verdammt jung aus, dass Eva ganz heiß vor Neid wurde.
»Nein, diese Schenkung war für Georg ein Glück, gerade mal zwanzig war er da. Das Geld war bis auf ein paar Tausend Mark in irgendwelchen Fonds angelegt, an die er in den nächsten Jahren nicht herankommen würde. Das war sehr schlau von Henry!«
Eva stimmte Helga zu, auch diese Geschichte hatte Georg ihr während einer ihrer Liebesnächte bis morgens um vier erzählt: »So viel Geld, von meinem leiblichen Vater, den ich bis dahin erst zweimal gesehen hatte, ohne zu wissen, dass er mein Vater ist! Er starb zwei Wochen nach un serer letz ten
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