Orangenmond
können.«
»Aha«, sagte Georg nur, und Eva bewunderte ihn erneut für seine Ruhe.
»In welchem sind wir denn, Papa?«, fragte Emil. »Wieder in einem Palazzo?«
»Nein! Ich habe einen Freund von Mama angerufen, er heißt Konrad Wehrli und ist Kameramann. Wir werden entweder bei ihm wohnen oder in der Wohnung von seinem Kumpel, das wusste er noch nicht so genau.« Eva bemerkte plötzlich Georgs blaue Augen im Rückspiegel, nur die Augen, wie beim »Tatort«-Vorspann, aber nicht so grimmig und gefährlich, sondern eher fragend, prüfend.
»Er ist also tatsächlich in Rom?«
Um den Augen zu entkommen, schnallte Eva sich ab und beugte sich weit durch die beiden Vordersitze.
»Sieht ganz so aus. Und du hast vergessen, dir darum Sorgen zu machen, das ist doch auch mal was …«, sagte er leise.
»Stimmt.« Sie zog sich wieder auf ihren Platz zurück, doch dann fiel ihr noch etwas ein: »Wir besuchen ihn einfach?« Georg verstand, was sie meinte. »Haben wir doch in Pesaro auch so gemacht. Gleiche Idee, oder?« Helga schaute konzentriert aus dem Seitenfenster, doch Eva war sicher, dass sie aufmerksam zuhörte.
»Er kann uns bestimmt eine Menge über Milena erzählen.« Georg tippte während des Fahrens etwas in das Navi ein.
Vielleicht mehr, als du hören möchtest, dachte Eva und schnallte sich wieder an.
Die Stadt umschlang sie mit einer Woge von Autos, die sie packte und davontragen wollte, doch die strenge Stimme der Navifrau, jetzt rechts abbiegen! , lenkte sie unbeirrt über die mehrspurigen Einfallstraßen. Langsam schoben sie sich in Richtung Stadtkern.
»In welchem Viertel wohnt dieser Konrad?«, fragte sie nach vorn.
»Wieso, kennst du dich in Rom aus?«
»Nein, überhaupt nicht.«
Georg lachte. »Zwischen dem Esquilino-Viertel und Monti, in der Nähe der Piazza Vittorio Emanuele. Helga, wie sind denn nun deine Pläne?«
»Ach, wenn ihr nichts dagegen habt, komme ich erst mal mit. Vielleicht rufe ich von dort in Ruhe im San Anselmo an, in dem war ich bei meiner letzten Hochzeitsreise. Mit Ludwig!« Der Ton, mit dem sie den Namen ausstieß, verhieß nichts Gutes.
»Ich fahr jetzt direkt zu seiner Adresse, Konrad erwartet uns.«
Die Via Angelo Poliziano lag friedlich in der Nachmittagssonne. Autos parkten dicht an dicht, hinter einer hohen Mauer sah Eva die Baumkronen eines Gartens. Die kleinen Läden waren alle geöffnet. Eine pasticceria , ein Café, eine Reinigung. Alte Frauen, die auf der Straße miteinander plauderten, ein Hund, der neben einem Wasserspender saß, aus dem es unaufhörlich plätscherte. Sogar einen freien Parkplatz gab es. Eva schaute sich um, eine ganz normale Straße, auch das war Rom, sie war gespannt, ob es ihr gelänge, sich an den berühmten Brunnen und Treppen vorbeizuschmuggeln. Zu viele Touristen, wie in Perugia an der Fontana Maggiore, bereiteten ihr Kopfschmerzen.
»Guck mal, die Tür ist bewaffnet wie ein Ritter«, sagte Emil und zeigte auf die goldenen Dornen, mit denen der untere Teil der Tür beschlagen war.
»Eine sehr edle Ritterburg!«, sagte Georg.
»Chi è?«, fragte jemand aus der Sprechanlage.
»Äh, wir sind’s! Konrad?«
Keine Antwort. Mehrere Sekunden vergingen, ohne dass jemand etwas sagte.
»Georg Wassermann«, setzte Georg noch einmal an. »Ich hatte angerufen. Wir möchten zu Konrad Wehrli.«
Stille.
»Wir stehen hier unten!«, rief Emil auf Zehenspitzen in die Öffnung der ebenfalls vergoldeten Sprechanlage. Georg lachte und legte den Arm um ihn.
»Versteht er überhaupt Deutsch?«, fragte Helga.
»Na klar, er kommt aus Bern, ich habe gestern minutenlang am Telefon mit ihm gesprochen.«
Da meldete sich die Stimme erneut von oben: »Corrado non c’è!«
»Er sagt, Konrad sei nicht da«, übersetzte Eva leise.
»Ääh …«, fiel Georg nur ein. »Das ist ja – dumm.«
»Dov’è?«, soufflierte Eva.
»Doowè?«, wiederholte Georg und setzte noch ein »Where is he ?« hinzu. Eva schaute Georg an. Na toll, sie standen in Rom auf der Straße, hatten kein Hotel, und ihr Gastgeber war abwesend.
»È a Olliwuud, lui!«
»In Hollywood?«, murmelte Helga. »Wer’s glaubt!«
»Was machen wir jetzt?«, fragte Eva.
»Aah, scherzo , war nur ein Witz, kommt rauf!«, krächzte es aus dem kleinen Lautsprecher, gleichzeitig summte der Öffner. Georg grinste erleichtert und stieß die schwere Haustür auf. Vor ihnen lag eine kleine Halle, an deren Ende sich eine hohe Wand aus gelbem Glas mit Jugendstilmustern befand. Durch die offen stehende
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