Orangenmond
Rücken an der glatten Lehne hinunterrutschen, froh, der allgemeinen Aufmerksamkeit fürs Erste entkommen zu sein.
»Was willst du trinken?«, rief Helga. »Wir nehmen Cham pagner, trinkst du ein Gläschen mit?« Eva nickte stumm. »Man muss auch mal Abstand voneinander haben, seit wie vielen Tagen kleben wir jetzt schon zusammen? Das ist nicht gut für die Gruppe!«
Eva nickte wieder. »Jetzt, wo du es sagst!«, rief sie in Helgas Ohr. Ich bin froh, weg von diesem Tisch zu sein, hätte sie am liebsten gerufen, von diesem Tisch, an dem Milena in den letzten Stunden mit gesessen hat, weg von Konrads lobpreisendem Gebrabbel, weg von den Augen dei nes Sohnes, die aufleuchteten, sobald ihr Name fiel. Ich saß dabei wie eine Bittstellerin, aber natürlich stumm. Bitte nimm meine Hand, bitte streichle mein Bein, bitte rede mit mir, bitte lächle mich an, bitte schau mich überhaupt an! Nichts von alldem hat er getan.
Ein Kellner brachte einen silbernen Kühler, ein zweiter, der sein Zwillingsbruder hätte sein können, trug ein Tablett mit drei Gläsern und schenkte ihnen ein. Sie musste plötzlich an ihren letzten festen Freund Hartmuth denken. In den ersten Wochen ihrer Beziehung hatte er dauernd Champagner mitgebracht, er war sehr großzügig gewesen, ja fast schon verschwenderisch. Das hatte allerdings schnell abge nommen. »Am Anfang bin ich immer nett«, hatte er lachend behauptet, als sie sich kennenlernten. Frauen sollten viel aufmerksamer darauf hören, was Männer als Erstes über sich sagen, dachte Eva wütend. Wie sie sich sehen, was sie über sich denken. Man glaubt, sie übertreiben, sie stapeln hoch oder tief, man lacht über diese Unglaublichkeiten und winkt ab, aber meistens ist es tatsächlich die Wahrheit.
Der Champagner schäumte eiskalt und hinterließ einen leicht metallischen Geschmack in ihrer Kehle. Er kostete hundertzwanzig Euro pro Flasche. Sie hatte nachgeschaut. Den Engländer schien das nicht zu beunruhigen, er schäkerte entspannt mit Helga, seine Hand auf ihrem Knie. Eva legte die Karte unauffällig weg und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Die italienischen Männer trugen Hemd und Anzughose, unnachahmlich lässig und elegant, wenn einen die Goldkettchen nicht störten. Auch Schnäuzer schie nen wieder modern zu sein. Die älteren Amerikaner waren an ihren gewöhnlichen, beuligen Jeans und Turnschuhen zu erkennen, die Deutschen, wie der Midlife-Crisis-Kandidat dort drüben zum Beispiel, am schlechten Haarschnitt.
Niemand fing ihren Blick auf, niemand beachtete sie. Sie dachte an Georg. Ich hätte dich nehmen sollen, Eva, hatte er gesagt. Nicht, ich nehme dich, oder ich will dich, oder ich liebe dich! Wenn ich jetzt anfange zu heulen, ist das mein gutes Recht, ging ihr durch den Kopf. Aber sie konnte nicht heulen. In einem Spiegel schräg gegenüber entdeckte sie eine Frau, die einen verkniffenen Gesichtsausdruck zur Schau trug und ihr sehr ähnlich sah. Schnell wandte Eva sich ab und kramte nach ihrem Handy. Vielleicht hatte Georg ihr ja etwas geschrieben? Allerdings war Georg nicht gerade ein begeisterter SMS-Schreiber, und richtig, es war auch keine Nachricht von ihm da. Nur eine von Jannis, vor über zwei Stunden geschrieben, um zehn nach zehn. Hallo Madamchen, in welcher Stadt seid ihr gerade? Immer noch auf der Suche? Liegst du schon im Bett und schonst die alten Knochen? 3 Fragen von Jannis aus Rom.
Sie straffte sich augenblicklich in ihrer Sofaecke, die Frau im Spiegel lächelte und sah schon viel besser aus. Ha, Jannis aus Rom, das wollen wir doch mal sehen, wer hier alte Knochen hat. Feiere gerade im Club , Moment, wie hieß der Laden? Supperclub Pompadour, stand auf der Serviette unter der Schale mit den Nüsschen, na, das klang doch wenigstens nach was. Noch mal von vorn. Bin auch in Rom! Feiere gerade im Supperclub Pompadour, Schampus auf dem Tisch und in the house, yeah. Zu angeberisch, zu albern? Scheißegal. Dass sie mit Helga und einem über sechzigjährigen, wenn auch gut erhaltenen englischen Daddy hier saß, war eine Information, die Jannis nichts anging.
Sie vermisste plötzlich sein Lachen und ersetzte das »Feiere« durch »Chille«. Klang noch cooler, wenn auch überhaupt nicht nach ihr.
Wie war das bei Jannis? Was hatte er als Erstes von sich preisgegeben?, überlegte Eva. Bei der Hochzeit am Trullo, am frühen Morgen, als er sie zum ersten Mal sah, hatten sich seine Augen eine kleine, kaum wahrnehmbare Spur weiter geöffnet. Er war vom Laster
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