Orangentage
schloss ein Ende des Drahtes an die Batterie ein. »Spinnen schon. Deswegen haben sie acht Beine â um es umhertragen zu können.«
»Kannst du es beweisen?«
»Reicht meine Behauptung nicht aus?«, fragte er.
»Jede Behauptung braucht einen Beweis.«
»Dann nimm die Spinne mit nach Hause. Ich schenke sie dir.«
»Was soll ich denn mit ihr anfangen?«
»Halt sie warm, zu füttern brauchst du sie nicht. Lass sie frei herumlaufen, im Keller, auf dem Dachboden oder in der Küche â¦Â«
»Bäh!« Hanka schüttelte sich vor Ekel.
»⦠und sie bringt dir tonnenweise Glück, du wirst sehen«, beendete er seinen improvisierten Vortrag und war froh, gerade noch die Kurve gekriegt zu haben. Gespräche mit Hanka waren nicht einfach. Sie beschäftigte sich ernsthaft mit Dareks spontan geäuÃerten Gedanken, stellte seine Antworten infrage und hatte für jede Behauptung einen Gegenbeweis. Es war ihm unmöglich, mit ihr so ausgelassen zu quatschen und zu lachen wie mit Mischa. Er musste dauernd daran denken, dass sie älter war und aufs Gymnasium ging, wo sie bestimmt vielen interessanten Menschen begegnete.
»Lauf ruhig weg, ich habe genug Glück, auch ohne deine acht Beine!«, sagte sie zum Abschied zu der Spinne und beförderte sie zum Fenster hinaus. Dann hängte sie den Kalender wieder auf, wobei ihr Blick kurz den Bulldozer streifte. Sie hob das Blatt hoch und schaute sich das nächste an. Darauf war ein Tunnelschild abgebildet. Schlesischer Berg- und Maschinenbaubetrieb â Ihr Partner für die Zukunft, stand darunter.
»Wie läuftâs bei deinem Vater?«, fragte Hanka. »Hat er Arbeit gefunden?«
Darek schüttelte den Kopf.
»Wann wurde er eigentlich entlassen?«
»Er wurde nicht entlassen. Wenn die Aufträge kommen, wird er wieder arbeiten. Vielleicht schon morgen«, antwortete er in einem schärferen Ton, als er gewollt hatte. Es war ihm nicht klar, warum, aber immer wenn er über die berufliche Situation seines Vaters und damit indirekt über die finanzielle Lage der Familie ausgefragt wurde, stellte er sie rosiger dar, als sie war. Er brauchte kein Mitleid, schon gar nicht von Hanka. Von Hanka wollte er respektiert werden.
»Hol mir mal eine kleine Glühbirne«, sagte er, während er einen alten Schalter auf einem Brett festschraubte. »Am besten, du nimmst sie aus der Taschenlampe.«
»Und wo finde ich die Taschenlampe?«
»Sie muss irgendwo im Regal liegen.«
Hanka fing an, in den Schubladen und Kisten zu wühlen. Darek beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Im Herbst war sie noch gröÃer als er gewesen, aber in den letzten Monaten hatte er aufgeholt. Hoffentlich merkte sie es. Sie nahm wohl auch Notiz von seinem kräftigen Adamsapfel und seiner günstig veränderten Stimme, die schon genauso tief wie die von Vater war, sodass sie häufig am Telefon verwechselt wurden. Doch die wesentlichste Verwandlung hatte sich bei ihm im Intimbereich abgespielt und nur Darek allein wusste davon. Er wurde männlicher. Er war unten gewachsen und das erfüllte ihn mit noch gröÃerem Stolz als seine tiefe Stimme oder der markante Adamsapfel. Er brauchte damit nicht herumzuprahlen wie einige seiner Mitschüler, aber es verstärkte sein Selbstbewusstsein. Hin und wieder ertappte er sich dabei, durch die verborgene Reife ein Gefühl von Ãberlegenheit zu spüren und bei Auseinandersetzungen toleranter als früher vorzugehen â er hatte es nicht mehr nötig, sich etwas zu beweisen. Die einzige Ausnahme waren die Schlägereien mit Hugo. In diesem Punkt blieb alles beim Alten. Sie gingen sich bei jeder Gelegenheit erbarmungslos an den Kragen und ein Ende war nicht abzusehen.
»Die leuchtet nicht.« Hanka hatte die Taschenlampe auseinandergeschraubt, sie nahm die Glühbirne heraus und untersuchte sie im Gegenlicht. »Ich glaube, sie ist kaputt.«
»Gibt es da keine andere?«
Hanka machte sich wieder auf die Suche, während Dareks Blick nachdenklich über die Werkstatt wanderte. Wer sagte denn, dass der Stromkreis eine Lichtquelle enthalten musste? Unter der Werkbank stand eine Schachtel voll ausgedientem Spielzeug. Die meisten Sachen waren zerbrochen oder es fehlten Teile. Darek hockte sich hin und holte eine alte Plastikmuschel heraus, die er bei einer Werbetombola im Kaufhaus Breda gewonnen hatte. Er erinnerte
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