Orangentage
zögerlich. Und umso eifriger widmete er sich dem Blumenkränzchen. »Man bewertet alles: das Aussehen, die Rasse, Gesundheit, das Alter, die Konstitution â¦Â«
»Was ist das?«
»Der Körperbau. Jedes Pferd hat andere Beine, eine andere Halsform, ein anderes Maul ⦠so wie wir Menschen.«
Ema lachte vergnügt. Sie kroch auf den Knien zu Darek und legte ihre von der Löwenzahnmilch klebrigen Hände an seine Wangen.
»Ãffne dein Maul«, forderte sie ihn heiter auf.
»Lass das!« Darek wich mit dem Kopf zur Seite und sah den Vater an. »Wie kannst du denn Pferde verkaufen, wenn du dich damit nicht auskennst? Wirst du es lernen?«
»Etwas lerne ich ganz bestimmt«, antwortete Vater. »Vor allem kann ich mich aber auf Anton verlassen. Der arbeitet mit Pferden seit jeher. Er kennt sich aus, hat viele Kontakte hier und noch mehr in Polen. Mit Anton an der Seite bin ich zuversichtlich, der hat nämlich ziemlich viel Grips im Kopf.«
Vor Dareks Augen tauchte der teure BMW mit Ledersitzen auf. Wenn Anton nicht viel Grips im Kopf hätte, hätte er sich sicherlich nicht eine solche Kutsche leisten können.
»Ich baue die Scheune zum Stall um«, fuhr der Vater fort. »Da passen sechs oder sogar acht Boxen rein. Aber ich will die Pferde hauptsächlich drauÃen weiden lassen.«
»Sag mal, was genau werden wir tun?«, fragte Darek. Er konnte mit dem neuen Projekt immer noch nicht viel anfangen. Welche Arbeit wartete auf sie? Würden sie Pfleger, Züchter oder so etwas wie Cowboys werden?
»Erst einmal zäunen wir ein Stück Wiese ein, wo wir sie drauflassen. Für den Anfang habe ich an diesen Zipfel gedacht.«
»Wie viele Pferde sollen es sein?«
»Acht oder neun. Mal sehen, vielleicht werden wir sie aufteilen müssen, damit sie sich nicht gegenseitig verletzen. Wenn sie das Gras hier abgeweidet haben, lassen wir sie ein Stück weiter.«
»Und was ist im Winter? Womit werden wir sie dann füttern? Sie fressen bestimmt zentnerweise Hafer â¦Â«
»Eins nach dem anderen. Bis dahin haben wir genug Zeit«, unterbrach Vater die Fragerei. »Hast du etwas zum Schreiben mit?«
Darek holte einen Stift und sein altes Heft mit der Aufschrift Vorbereitung fürs Gymnasium aus der Tasche. Die meisten Seiten waren unbeschrieben. Kurz nachdem er das Heft gekauft hatte, erkrankte die Mutter und die Vorbereitung für die Aufnahmeprüfung machte keinen Sinn mehr.
»Miss die Entfernung von diesem Stein bis zu der hohen Birke«, sagte Vater und reichte Darek eine aufgerollte Schnur zum Messen. Er selber klappte das Heft auf, legte es auf die Knie und fing an zu schreiben.
Darek lief auf die Birke am Rand der Wiese zu. Beim Laufen spulte er die Schnur ab. Er fühlte sich glücklich. Endlich geschah etwas! Endlich war der Vater so wie früher. Ganz wie früher natürlich nicht, aber er war nicht mehr so verschlossen. Sein Gesicht verriet Interesse, etwas, das er in den letzten Monaten verloren zu haben schien. Er lachte mit Ema, flocht ein Kränzchen für sie, blickte lebhaft umher. Man konnte sehen, dass er seine Umwelt wahrnahm und wieder Kontakt zu ihr suchte. Der gläserne Blick, das lange Schweigen und die heruntergezogenen Mundwinkel waren weg. Er pfiff sogar leise vor sich hin, was immer höchste Zufriedenheit andeutete. »Papa pfeift wieder, es sieht nach gut Wetter aus«, pflegte Mutter zu sagen und zwinkerte Darek zu. Beide wussten aus Erfahrung, dass Vaters gute Laune meist in einen Ausflug, einer Runde Monopoly, einen Aquapark-Besuch oder in einen anderen Familienspaà münden würde.
»Hundertvierundzwanzig und etwas!«, rief Darek. »Fast hundertfünfundzwanzig Meter!«
»Das bedeutet mindestens zwanzig Pfähle und auf der gegenüberliegenden Seite noch mal so viel. Jetzt messen wir die längere Seite â von hier bis zum Weg!«
Während sie auf der Wiese herumgingen und Vater die gemessenen Ergebnisse notierte, stellte sich Darek vor, wie es wohl mit den Pferden sein würde. Bevor Herr Havlik sein Bein verlor, setzte er Darek ein paarmal auf den Pferderücken und lieà ihn im Hof umherreiten. Das gefiel ihm, wobei er aber auch ein bisschen Angst hatte. Darek spürte schon das Schaukeln des warmen Tierkörpers, die Muskelbewegungen und die raue Mähne unter seinen Fingern, er stellte sich die Pferdeohren vor und wurde ganz
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