Orchideenhaus
alle am Dock begrüßen.«
»Klingt gut. Danke, dass du alles für mich organisiert hast, aber würde es dir etwas ausmachen, wenn wir ein andermal über die Zukunft reden? Es ist meine erste Nacht in Freiheit, und ich möchte einfach nur den Augenblick genießen.«
»Natürlich, alter Junge! Wir haben keine Eile. Ich dachte nur, dass du dich so schnell wie möglich auf den Weg in die Heimat machen willst«, erklärte Sebastian.
»Darüber sprechen wir morgen. Und jetzt erzähl mir alles über diese schöne Stadt.«
»Es wundert mich, dass es dich gar nicht so sehr interessiert, was im guten alten England passiert ist«, meinte Sebastian, als er sich über ein großes australisches Steak hermachte. Harry betrachtete sein Fleisch auf dem Teller, aus dem das Blut sickerte, und wusste, dass er es nicht würde essen können. Verlegen ließ er es zurückgehen und bestellte stattdessen eine Schale wässrigen Reis.
»Natürlich interessiere ich mich dafür, Sebastian«, widersprach Harry. »Aber ich habe das Gefühl, erst ein paar Stunden frei zu sein. Gespräche über den Krieg sind mir heute Abend einfach zu viel.«
Sebastian betrachtete ihn durch seine dicke Brille. »Du hast alle Zeit der Welt, alter Junge. Morgen kommt mein Schneider zu dir und stattet dich mit Zivilkleidung aus. Die Leute hier können gut mit Nadel und Faden umgehen. Sag, was du möchtest, und er näht es dir.«
»Das ist schrecklich nett von dir. Aber was trägt man heutzutage denn so?«
»Ich nehme an, dass sich in dieser Hinsicht nicht viel getan hat. Vermutlich laufen die Jungs zu Hause nicht plötzlich
in Röcken rum wie die hier«, meinte Sebastian schmunzelnd.
»Bis ich aus dem Kriegsdienst entlassen bin, sollte ich wahrscheinlich der Form halber Uniform anziehen«, meinte Harry. »Aber in Changi waren von der bloß noch mit Zeltleinwand geflickte Shorts und eine Socke übrig.«
»Darüber musst du dir nun wirklich nicht den Kopf zerbrechen. Die Behörden haben alle Hände voll damit zu tun, die Tausenden von Kriegsgefangenen zurück nach Hause zu transportieren. Ich an deiner Stelle würde das Ganze als Urlaub betrachten. Den hast du dir verdient, alter Junge. Und wenn dir danach ist, zeige ich dir ein paar Dinge. Na, wie wär’s? Die Mädels hier sind … wie soll ich das ausdrücken? Ein bisschen entspannter als die daheim.«
»Du könntest mir die Stadt zeigen, wenn ich wieder halbwegs bei Kräften bin.«
»Ja. Du bist sicher noch erschöpft. War es … schlimm?«
»Unvorstellbar«, antwortete Harry. »Dabei hatte ich Glück, weil ich als Offizier besser behandelt wurde als die unteren Ränge. Außerdem kann ich Klavier spielen, und das gefiel den Japanern. Das Piano hat mir letztlich das Leben gerettet.«
Sebastians Miene hellte sich auf. »Natürlich! Bei dem Durcheinander in der letzten Zeit habe ich doch glatt vergessen, dass du Klavierspielen kannst. Ich muss mit Giselle reden. Sie hat vor, für die Ausländergemeinde eine kleine Bar zu eröffnen, und sucht nach Mitgliedern für die Band. Vielleicht gelingt es ihr, in den nächsten Tagen ein paar Leute zusammenzutrommeln; dann könntest du uns was vorspielen.«
»Hm«, brummte Harry. »Was ist eigentlich aus Bill geworden? «
Sebastian runzelte die Stirn über den unvermittelten Themenwechsel. »Wer, zum Teufel, ist Bill?«
»Mein Feldwebel im Bataillon. Er stammt aus Wharton Park und war die ganze Gefangenschaft über bei mir. Bei der Einnahme von Singapur hat er mir das Leben gerettet, und als ich mit Denguefieber im Krankenhaus von Changi lag, hat er mich regelmäßig besucht. Es würde mich freuen zu hören, dass er sicher zu Hause gelandet ist. Ich werde ein Telegramm nach Wharton Park schicken und fragen.« Harry hatte plötzlich Mühe, die Augen offen zu halten. »Entschuldige, Sebastian, aber ich bin hundemüde und muss schlafen.«
»Natürlich. Geh hoch und leg dich hin. Mein Schneider kommt morgen um zehn zu dir.«
Harry stand mit wackligen Beinen auf. »Ganz herzlichen Dank für alles, Sebastian. Du musst mir sagen, was ich dir schulde. Ich lasse dir das Geld aus England anweisen.«
»Fasse das als meinen Beitrag fürs Vaterland auf«, erwiderte Sebastian und winkte ab. »Schön, dass ich dir helfen konnte, alter Junge.«
Harry wünschte ihm eine gute Nacht und ging langsam auf sein Zimmer. Er freute sich darauf, seine schmerzenden Knochen unter der kühlenden Luft des Deckenventilators in saubere weiße Laken zu betten. Sein letzter Gedanke vor
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