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Orchideenhaus

Orchideenhaus

Titel: Orchideenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Riley
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nie etwas aus ihrem Äußeren gemacht und die Schule nur mit Ach und Krach geschafft, weil sie so viele Stunden am Klavier verbrachte. Julia hatte immer gewusst, dass sie sich nicht mit der perfekten Alicia messen konnte. Außerdem stand Alicia ihrem Vater seit jeher näher, während Julia am Rockzipfel ihrer Mutter hing. Die Leute bemerkten, wie ähnlich sie sich waren, nicht nur körperlich, sondern auch in ihrer Weltfremdheit und künstlerischen Ader.
    Julias Kindheit hatte mit dem Tod ihrer Mutter geendet.
    Als Julia das Cottage erreichte, schürte sie, nach wie vor aus der Fassung, das Feuer im Kamin. Leider war Alicias Fürsorglichkeit echt, weshalb Julia sie ihr nicht zum Vorwurf machen konnte. Das vermittelte ihr ein noch stärkeres Gefühl der Unzulänglichkeit und Schuld. Sie wusste genau, wie sehr Alicia sich angestrengt hatte, in die Fußstapfen ihrer Mutter zu treten, und wie schwierig das Julia gegenüber gewesen war, die glaubte, dass es keinen Ersatz für ihre Mutter gab. Sie hätte in Alicia lieber eine Schwester gehabt, mit der sie ihren Kummer teilen konnte, als einen notwendigerweise unzulänglichen »Mutter-Ersatz«.
    Nun hatte das Schicksal sie in eine Lage gebracht, in der sie Alicias Hilfe wieder benötigte. Ihrem Charakter gemäß war Alicia für sie da gewesen und hatte Julia den Mangel an
Kontakt seit ihrem Auszug von zu Hause mit achtzehn und ihrer Übersiedlung nach Frankreich kein einziges Mal vorgeworfen.
    Doch die Rückkehr hierher … Es schien sich alles zu wiederholen. Erneut lag ihr Leben in Trümmern, während das von Alicia perfekt war, und erneut fühlte Julia sich wie erstickt von der Fürsorglichkeit ihrer Schwester.
    Und noch ärgerlicher: Alicia sprach oft die Gedanken aus, die Julia gern vor sich selbst verborgen hätte.
    Julia setzte sich mit dem Tagebuch aufs Sofa und schlug die erste Seite auf, konnte sich aber nicht auf die Worte konzentrieren. Sie starrte ins Feuer.
    »Er ist sehr attraktiv, findest du nicht …?«
    Julia seufzte.
    Ja … Am Morgen auf der Landzunge war sie zu dem Schluss gelangt, dass sie einen neuen Weg einschlagen musste. Doch schon der Gedanke an eine Beziehung mit einem Mann ging ihr einen Schritt zu weit. In der düsteren Welt, in der sie sich in den vergangenen Monaten aufgehalten hatte, war kein Platz für Überlegungen über die Zukunft gewesen.
    Julia ging in die Küche, wo sie die Tür des vollen Kühlschranks öffnete, um ein Nudelfertiggericht herauszuholen. Einen kurzen Augenblick lang spielte sie mit dem Gedanken, für Alicia ein Foto von all den Lebensmitteln zu machen, damit diese endlich mit dem Nörgeln aufhörte.
    Als sie mit dem Teller ins Wohnzimmer zurückkehrte, gestand sie sich ein, warum sie so wütend auf ihre Schwester war.
    Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie sich in Kits Gesellschaft wohlfühlte. Und außerdem fand sie ihn tatsächlich attraktiv.
    Nach dem Essen nahm Julia noch einmal das Tagebuch zur
Hand, schlug es aber nicht auf. Es war ein langer, emotional anstrengender Tag gewesen.
    Sie stieg die Treppe hinauf ins Schlafzimmer, und zum ersten Mal, seit ihre Welt sieben Monate zuvor zusammengebrochen war, verbrachte Julia die Nacht ohne Albträume.
     
    Am folgenden Morgen war sie bereits um acht Uhr auf den Beinen und in der Küche. Eine Tasse Tee mit Milch und eine Schale Müsli stärkten ihren Entschluss, sich wieder dem Leben zu stellen. Sie holte ihr Handy aus der Kommode, schaltete es ein und ging hinauf ins Bad, an den einzigen Ort im Cottage, wo sie Empfang hatte.
    Auf ihrer Mailbox hatten sich neunzehn Nachrichten angesammelt, manche davon zwei Monate alt. Die aktuellsten stammten von Alicia, ihrem Vater, Kit und ihrem Agenten Olav.
    Auch ihre Haushälterin in Frankreich hatte sie kontaktiert und gebeten, sie sofort zurückzurufen. Offenbar gab es ein Problem mit dem Haus, doch Agnes sprach so schnell Französisch, dass Julia sie nicht verstand. Sie setzte sich auf den Wannenrand und notierte die Namen der Anrufer. Ihre Hand zitterte, weil sie Angst davor hatte, mit Menschen aus der Vergangenheit zu reden.
    Heute würde sie sich die Haushälterin und den Agenten vornehmen. Alle anderen konnten warten.
    Julia ging wieder nach unten, ließ sich aufs Sofa plumpsen, schloss die Augen und zwang sich, sich die rebenumrankte Terrasse ihres hübschen Hauses auf dem Hügel über dem alten Dorf Ramatuelle vorzustellen, unter dem das blaue Wasser des Mittelmeers glitzerte.
    Sie wusste, dass sie die Erinnerungen

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