Orchideenhaus
behauptete er, er wolle sie wiedersehen, und küsste sie. Wieso machte er sich überhaupt die Mühe? Sie war frisch verwitwet und trauerte um ihren Mann; noch zwei Wochen zuvor hatte sie nichts mit der Welt zu tun haben wollen. Im Bett dachte sie daran, wie er sie geküsst hatte und… stellte sich mehr vor.
Alle paar Minuten überprüfte sie, ob Nachrichten auf der Mailbox eingegangen waren. Ergebnis: seit vier Tagen nichts.
Nach einer Woche ohne ein Wort von ihm erwachte Julia aus unruhigem Schlaf und wusste, dass sie Kit vergessen und sich auf ihr zukünftiges Leben konzentrieren musste.
Als sie duschte, klingelte das Handy, das sie auf den Rand der Badewanne gelegt hatte.
»Hallo?«
»Ich bin’s, Alicia. Wie geht’s dir?«
»Gut, danke. Und dir?«, erkundigte sie sich, während sie, das Handy unters Kinn geklemmt, begann, sich abzutrocknen.
»Auch gut. Tut mir leid, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe, aber diese Woche hatte ich ziemlich viel zu tun. Wie war dein Abendessen bei Kit?«
»Schön, danke.«
»Prima. Hast du ihn seitdem gesehen?«
»Nein.«
»Dann kann man also nicht auf eine romantische Geschichte hoffen?«, fragte Alicia.
»Gütiger Himmel, nein. Wir sind Freunde, weiter nichts.«
»Gott sei Dank.«
»Warum das? Ich dachte, du magst ihn?«
»Natürlich mag ich ihn, auch wenn … Nein, es ist nichts. Ich glaube nur …«
»Was? Nun sag schon, Alicia, lass dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.«
»Beruhige dich, Julia. Ich wollte dich nur warnen, dass die Welt von Lord Crawford vielleicht doch nicht so klar strukturiert ist, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Aber das geht mich nichts an.«
»Stimmt«, zischte Julia und wandte sich einem anderen Thema zu. »Wie läuft’s mit den Kindern?«
»Sie sind in bester Kampflaune.« Alicia seufzte. »Max und ich wollten dich für morgen zum Mittagessen einladen.«
»Danke, Alicia, nein. Ich …« Julia suchte verzweifelt nach einer Ausrede. »Ich möchte spazieren gehen.«
»Spazieren gehen?«
»Ja.« Julia wechselte ins Schlafzimmer, wo sie fast keinen Empfang mehr hatte. »Ich melde mich bald wieder bei dir. Tschüs.«
Sie warf das Handy frustriert aufs Bett. Julia hasste Alicia und Kit dafür, dass es ihnen gelang, sie aus der Fassung zu bringen, doch noch mehr hasste sie sich selbst für ihre Reaktion.
In ihrer Verzweiflung fuhr Julia nach Holt, um eine oder zwei Stunden zu verbummeln. Sie kaufte Lebensmittel, auf die sie keinen Appetit hatte, und eine Duftkerze, die sie mit ziemlicher Sicherheit nie verwenden würde. Lustlos trottete sie die Highstreet entlang zu der kleinen Boutique, in der sie eine Woche zuvor ihre neue Kleidung erworben hatte. Diesmal fand sie nichts, und der Laden erinnerte sie schmerzlich an die Vorfreude, die sie das letzte Mal dort empfunden hatte. Zu allem Überfluss entdeckte sie einen kleinen Jungen, ungefähr so alt wie Gabriel, mit ähnlichem Lockenkopf und ähnlich großen, blauen Augen …
Julia verließ die Boutique mit Tränen in den Augen und kehrte zu ihrem Wagen zurück.
Da entdeckte sie ihn, wie er um sein Auto herum zur Beifahrertür ging, um sie zu öffnen, und seine Begleiterin, die ihm zulächelte, bevor er ein sehr kleines Baby vom Rücksitz holte. Er küsste das Kleine sanft auf den Kopf, reichte es seiner Mutter und holte den Kinderwagen aus dem Kofferraum. Sobald das Baby darin lag, setzten sie sich in Richtung Julia in Bewegung.
Julia duckte sich instinktiv hinter das nächste Auto, als sie an ihr vorbeikamen, so nahe, dass sie Annies amerikanischen Akzent und Kits Lachen hören konnte.
Julia holte tief Luft. Sobald die drei außer Sichtweite waren, lief sie zu ihrem eigenen Wagen und stieg ein.
»Wie konnte er nur?«, kreischte sie und hämmerte gegen das Lenkrad. Als sie sich halbwegs gefasst hatte, ließ sie den Motor an und verließ den Parkplatz.
An jenem Abend trank sie eine ganze Flasche Wein und wurde von Glas zu Glas wütender. Kit hatte mit ihren Gefühlen gespielt, so einfach war das. Dieses ganze verständnisvolle Gerede: Schauspielerei. Er war schlicht ein Schürzenjäger, wenn auch mit beeindruckendem Stammbaum.
»Armes Baby, arme Annie«, flüsterte sie, als sie die Treppe hinaufwankte und in ihrem Schlafzimmer voll bekleidet aufs Bett fiel.
Doch während ihrer Krankheit hatte er sich so aufopfernd um sie gekümmert …
Eine Träne rollte über ihre Wange. Sie konnte einfach nicht mehr wütend sein.
Er fehlte ihr …
»Mein Gott …«,
Weitere Kostenlose Bücher