Orchideenhaus
besuchst du sie nicht mal? Das würde sie freuen.« Julia hatte im Augenblick keinerlei Lust auf Schilderungen weiterer Crawford-Ränke.
»Mach ich. Wirst du dich von Kit verabschieden?«
Julias Augen begannen zu funkeln. »Nein. Ich habe den Eindruck, dass er im Moment ziemlich beschäftigt ist, oder?«
»Ich … weiß es nicht«, antwortete Alicia. »Aber egal. Bon voyage , kleine Schwester.« Julia ließ sich von ihr umarmen. »Bitte halt diesmal wirklich Kontakt.«
»Ja. Und noch mal danke für alles.«
»Du weißt, dass ich da bin, wenn du mich brauchst, Julia.«
»Ja. Tschüs, Alicia. Grüß mir die Kinder.«
Auf dem Weg zum Cottage hörte Julia sich die Hälfte einer neuen Nachricht von Kit an, lachte wieder laut auf, löschte sie und schaltete ihr Handy aus.
Am folgenden Tag saß Julia in der Sonne des Pub-Gartens und rief Elsie und ihren Vater an, um ihnen mitzuteilen, dass sie nach Hause zurückkehren wolle. Elsie, die sich gerade von einer leichten Grippe erholte, krächzte noch, und George schien in Gedanken bereits auf den Galapagosinseln zu weilen.
»Du willst nach Hause, Liebes? Ins Cottage? Gut, gut. Freut mich, von dir zu hören.«
»Nein, nach Frankreich, Dad«, erklärte Julia geduldig, die seine Geistesabwesenheit vor großen Reisen kannte.
»Ach so. Prima! Irgendwann musst du wieder in den Sattel. Und ans Klavier.«
»Eins nach dem anderen, Dad.«
»Ja, natürlich. Ich breche jedenfalls dieses Wochenende auf. Wenn du wieder per E-Mail zu erreichen bist, melde ich mich wie üblich. Wie die Kommunikationsmöglichkeiten dort sind, weiß ich allerdings nicht.«
»Pass auf dich auf, Dad.«
»Und du auf dich. Vergiss nicht: Ich bin stolz auf dich.«
»Danke, Dad. Tschüs.«
»Auf Wiedersehen, Liebes.«
Als Julia das Gespräch beendet hatte, sah sie, dass eine SMS von Kit hereingekommen war. Sie löschte sie ungelesen, leerte ihr Glas Wein und aß ihr Sandwich auf, dachte an den folgenden Tag und den nächsten schwierigen Schritt ihrer Reise. Nun, da sie so kurz davorstand, bekam sie es mit der Angst zu tun. Während sie zum Cottage zurückschlenderte, überlegte sie, ob sie tatsächlich bereit dazu war. Egal wie sehr Alicias ständige Sorge ihr auf die Nerven gegangen war: Immerhin hatte sie ihr ein Gefühl der Sicherheit gegeben.
In Frankreich wäre sie allein mit ihren Erinnerungen.
Aber es gab keine Alternative. Hier hielt sie nichts.
29
Um acht Uhr abends war der Mietwagen, den sie in den vergangenen Monaten benutzt hatte, abgeholt, das Cottage sauber geputzt und ordentlich aufgeräumt und das Taxi zum Flughafen für halb acht am folgenden Morgen bestellt. Julias Tasche stand neben der Tür – sie war bereit zum Aufbruch.
Als sie sich im Wohnzimmer umsah, empfand sie plötzlich ein Gefühl der Zuneigung für diese vier Wände, die Zeuge ihres Kummers geworden waren und ihr Zuflucht geboten hatten.
Julia ging zur Haustür, um den kühlen, sauberen Geruch der Nordsee einzuatmen und einen letzten Blick auf die Boote zu werfen, die im Hafen schaukelten.
»Hallo, Julia«, ertönte da eine Stimme aus der Dunkelheit, und sie machte vor Schreck einen Satz.
»Ich bin’s, Kit«, sagte die Stimme, und eine Gestalt bewegte sich auf den Lichtschein zu, der aus dem Haus drang.
Julia erstarrte.
»Ich weiß, dass du morgen abreist …«
»Woher?«
»Ich hab mit deiner Schwester telefoniert, weil ich mir Sorgen um dich mache.«
»Ach.«
»Julia …« Kit tat ein paar Schritte auf sie zu. Julias Hand wanderte instinktiv in Richtung Tür, um sie zu schließen.
»Ich glaube, es liegt ein Missverständnis vor. Darf ich reinkommen und dir alles erklären?«
»Nicht nötig. Ich denke, ich begreife dieses sogenannte Missverständnis nur zu gut, Kit. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest – ich muss morgen früh raus. Gute Nacht.«
Julia trat ins Haus.
»Bitte, Julia.« Kit hinderte sie daran, die Tür zu schließen. »Bitte lass es mich erklären, damit wir nicht im Zwist auseinandergehen. Das würde ich wirklich nicht wollen.«
Julia zuckte mit den Achseln. »Wenn du meinst. Aber nur fünf Minuten.« Sie ging zum Sofa und ließ sich darauf nieder.
Kit folgte ihr hinein und blieb beim Kamin stehen.
»Ich habe dich letzte Woche nicht angerufen, weil Annies Baby zur Welt gekommen ist.«
»Ja, ich weiß. Gratuliere.« Julia zwang sich zu einem Lächeln.
»Danke. Ich richte es ihr aus, wenn ich das nächste Mal mit ihr rede.«
»Bitte mach dich nicht lustig über mich,
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