Orchideenhaus
Unsicherheit, ob sie tatsächlich mir gehörte. Im einen Augenblick sagte sie mir, sie liebe mich über alles, und dann hörte ich eine Woche oder länger nichts von ihr. Ich muss wohl kaum erwähnen, dass das Studium darunter litt, aber das war mir damals egal.« Kit rang sich ein gequältes Lächeln ab. »Ich hatte den Verstand verloren.«
»Und was geschah dann?«
»Ich pendelte also ständig zwischen Edinburgh und London hin und her. Nach etwa einem Jahr bemerkte sogar ich Millas merkwürdiges Verhalten. Sie hatte immer schon viel Energie besessen und die ganze Nacht aufbleiben, tanzen und feiern können, doch da bekam diese Energie allmählich etwas Manisches. Wenn ich das Wochenende bei ihr verbrachte,
schlief sie manchmal überhaupt nicht. Sie schien in ziemlich zwielichtigen Londoner Cliquen zu verkehren und wurde immer dünner. Eines Tages habe ich sie dann im Bad erwischt, wie sie sich einen Schuss Heroin setzte.«
»O je. Hat sie’s zugegeben?«
»Das musste sie, denn ich hatte sie ja auf frischer Tat ertappt. Dass sie manchmal Koks nahm, wusste ich, aber das war nun etwas völlig Neues. Sie schwor mir, dass sie damit aufhören könne, jedoch meine Unterstützung brauche.«
»Und darauf hast du dich eingelassen?«
»Ja. Ich habe das Medizinstudium geschmissen und bin nach London gegangen, um sie zu retten.«
»Kit! Und das nach drei Jahren harter Arbeit! Vermutlich warst du kurz vor dem Abschluss.«
»Ja, ich hätte noch ein Jahr gehabt.« Kit seufzte. »Wie gesagt: Ich war verrückt.«
»Ist es dir gelungen, Milla zu retten?«
»Nein. Hätte ich damals bloß gewusst, dass ein Süchtiger sich nur selbst retten kann. Milla hat’s versucht und ist ein paar Wochen auf kalten Entzug gegangen, hat dann aber wieder angefangen. Natürlich war ich irgendwann der ›Feind‹, der ihr Geld konfiszierte, sie nicht mehr allein auf die Straße ließ und ihre Anrufe mithörte, damit sie keinen Kontakt mit Dealern aufnehmen konnte … Sie hat mich gehasst.« Kit strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Das ging monatelang so, bis ich einmal vom Einkaufen in die Wohnung zurückkam und sie nicht mehr da war. Am nächsten Tag hat die Polizei sie bewusstlos in der Gosse aufgelesen. Sie hatte sich eine Überdosis gespritzt und wurde in den Entzug gesteckt. Sie versprach mir durchzuhalten und hatte schreckliche Angst, dass ich sie im Stich lassen würde. Ich versprach ihr, bei ihr zu bleiben, unter der Bedingung, dass sie nicht aufgab.
Und ich sagte ihr, ich würde ein für alle Mal verschwinden, wenn sie wieder Drogen nähme.«
»Dir blieb keine andere Wahl, oder?«
»Das behaupteten zumindest die Fachleute. Die letzte gute Zeit hatten wir miteinander, als sie aus der Reha kam, drei wunderbare Monate mit meiner alten Milla. Sie sprach sogar davon, zurück an die Schauspielschule zu gehen, und ich wollte mein Medizinstudium in London wiederaufnehmen.« Kit zuckte mit den Achseln. »Ein ganz normales Leben, und deshalb so schön.«
»Doch irgendwann war es zu Ende?«
»Ja. Inzwischen kannte ich ja die Zeichen: das manische Verhalten, die dunklen Ringe unter den Augen, den Gewichtsverlust … Ich hatte so etwas wie einen Doktor in Milla-und Suchtstudien. Obwohl Milla alles leugnete, wusste ich, dass sie wieder an der Nadel hing. Also machte ich meine Drohung wahr in der Hoffnung, dass sie das zur Vernunft brächte. Julia, es war schrecklich. Sie hat gekreischt und geweint, mich angefleht zu bleiben und mir gedroht, sich umzubringen, wenn ich ginge …« Kit legte den Kopf in die Hände. »Das war die schlimmste Entscheidung meines Lebens.«
Julia streckte die Hand aus, um ihn zu trösten. »Hat’s was genützt?«
»Nein, natürlich nicht. Ich bin ihr eine Woche lang ferngeblieben, habe mich mindestens zwanzigmal am Tag gezwungen, standhaft zu bleiben, bin dann aber wieder zu ihr, habe die Wohnung leer vorgefunden und die Polizei gerufen. Drei Wochen später wurde sie in der Unterkunft eines stadtbekannten Dealers tot aufgefunden.«
»Das tut mir leid, Kit«, murmelte Julia.
»Tja.« Er hob den Kopf. »Sie hatte gedroht, sich umzubringen, wenn ich sie verließe … Und genau das hat sie am Ende
getan. Die Obduktion ergab, dass sie an einer Überdosis gestorben ist und vor ihrem Tod wiederholt vergewaltigt worden war. Um sich das Geld für die Drogen zu verdienen, hatte sie sich offenbar prostituiert. Das erklärte die blauen Flecken, die ich schon früher an ihr bemerkt hatte. Vermutlich war sie
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