Orchideenstaub
verhieß jedenfalls nichts Gutes.
In dem Restaurant hatte sich nichts verändert, alles stand noch am selben Platz, genauso wie er es in Erinnerung hatte. Bilder von Don Quichotte und bunte handgemachte Flamencofächer aus Holz mit typisch spanischen Motiven zierten die Wände. Über der Bar hingen ein roter und ein schwarzer sombrero cordobés und ein paar Kastagnetten, die Lina immer während des Tanzes benutzt hatte. Ja, auch die kleine spanische Flagge in der Ecke an der Bar hing traurig und verstaubt an einer Holzstange. Aber ohne den erfrischenden und temperamentvollen Geist von Lina war das Leben aus dem Restaurant gewichen.
Er drehte sich um, um nach dem Tisch zu sehen, an dem er immer gesessen hatte. Zu seinem Erstaunen war er nicht mehr da. An dem Platz stand eine große Vase mit Trockenblumen.
Consuela war im hinteren Teil des Restaurants verschwunden und kam nun mit einem Bündel in der Hand wieder zurück. Als sie Sams Blick sah, sagte sie: „En esta mesa … hat zuletzt der Mann gesessen, der für Linas Tod verantwortlich war. Ich habe ihn aus dem Restaurant geworfen und vor dem Restaurant eigenhändig angezündet.“ Aus einem rotem Manton mit aufgestickten bunten Blumen wickelte sie einen schäbigen alten Leitzordner aus. Bevor sie ihn aufschlug hielt sie beide Hände darauf und schloss die Augen für ein paar Sekunden. Dann öffnete sie ihn ehrfurchtsvoll, als wäre es die Heilige Bibel.
Der Ordner war voller Papiere, die beiden obersten löste sie aus den Ringen heraus und legte sie auf den Tisch. Tränen traten in ihre Augen, als sie stockend anfing zu sprechen. „Sam, Sie wissen ja … dass meine Lina … über besondere … Fähigkeiten verfügt hatte.“ Sie sah ihm direkt in die Augen, um dort nach einer Bestätigung zu suchen.
Sam nickte verhalten.
„Mein kleines Mädchen kam ganz nach ihrer Großmutter.“ Consuela holte ein Taschentuch aus ihrer Schürze und wischte sich die Augen trocken. „Antes de que Lina … bevor das alles passierte, hat sie Sitzungen bei Kunden gemacht.“ Sie schob ihm die beiden Papiere rüber. „Este aquí … entstand vermutlich bei der Letzten.“
Sam nahm die beiden Blätter in die Hand und atmete tief durch. Es war als wäre noch die Energie von Lina darin zu spüren, zumindest bildete er sich das ein. Er konnte sogar den leichten Honigduft riechen, der sie immer umgeben hatte. Nach näherem Betrachten des ersten Blattes sah er Consuela fragend an.
„Yo sé, es sieht aus wie Gekritzel eines kleinen Kindes, aber man muss auf los detalles achten.“ Sie forderte ihn stumm auf, noch einmal genauer hinzusehen.
Sam schluckte den Kloß im Hals runter und sah wieder auf das Blatt. In jeder Ecke war ein Kreuz gemalt worden und tatsächlich, je länger er hinsah, desto deutlicher wurde das Bild. Und dann erkannte er, dass Lina mit wenigen Strichen ihre Todesstätte gezeichnet hatte, die er selbst noch nur allzu deutlich vor Augen hatte. Die Rundbögen der Fenster, die Fackeln an den Wänden, der Seziertisch in der Mitte des Raumes, der wie ein Bett aussah, sogar die Kanopten waren eingezeichnet worden. Aber auch diese konnte man nur erkennen, wenn man wusste, worum es sich dabei handelte. Lina wusste zu diesem Zeitpunkt sicherlich nicht, was sie da gemalt hatte.
„Wann …“ Sams Stimme brach ab.
„Etwa zwei Wochen vor ihrem Tod. Aber was mich besorgt, ist das hier.“ Sie zeigte auf das zweite Papier in Sams Hand.
Ein Kellner trat an den Tisch und fragte, ob Sam etwas bestellen wolle. Consuela bat ihn, eine Karaffe Sangría und eine Flasche Wasser zu bringen.
In der Mitte des zweiten Blattes entdeckte er plötzlich seinen eigenen Namen. Er war umgeben von vielen Jas und Neins, Striche, die ins Nichts gingen und ein trompetenförmiges Gebilde. Und genau daneben stand: „Tod“ und „Hauch des Teufels“.
„Diese Striche hier, die einfach im Nichts enden, sind meist unbeantwortete Fragen der Geister und …“
Sam hörte nicht mehr hin. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Hatte Lina tatsächlich seinen Tod gesehen? Und was sollte diese Trompete darstellen? Er war verwirrt.
Inzwischen stand die Sangria auf dem Tisch und Consuela hatte ihm ein Glas eingeschenkt, das er in einem Zug austrank. Endlich hörte sie auf zu reden.
Sam bereute es plötzlich, dass er nicht gleich auf sein Hotelzimmer gegangen war.
„Sam, haben Sie gehört was ich gesagt habe?“
„Was? Ja, natürlich“, antwortete er schnell, obwohl er kein Wort mehr
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