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Orchideenstaub

Orchideenstaub

Titel: Orchideenstaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Pleva
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für das Heim. Lea und sie hatten immer nur die nötigsten Worte gewechselt, ansonsten gingen sie sich tunlichst aus dem Weg. Das mochte daran liegen, dass Lea sie ein paar Mal ermahnt hatte, als ihr die auffällig nachlässige Pflege an einigen Patienten aufgefallen war. Rosa ließ sich nicht gerne etwas sagen, sie teilte das Personal für die Woche ein und ihr Chef war Rafael Rodriguez und nicht seine Schwester, die gelegentlich mal hier vorbeischaute und im Grunde genommen keine Ahnung hatte, was im Heim los war.
    Nathalia, die gerade hatte antworten wollen, verstummte augenblicklich und stopfte das Laken in die Matratze, ohne Lea noch einmal anzusehen.
    Was hatte sie ihr sagen wollen, was die andere nicht hören sollte? Lea entschied sich, später nach dem Essen noch einmal nach der Hühnerfrau zu sehen und trat auf den Gang hinaus, der wie immer nach einer Mischung aus Urin, anderen Ausdünstungen und Chemikalien roch, die die beißenden Gerüche übertünchen sollten.
    Sie hatten inzwischen drei Aidskranke im Heim liegen, die in Hinterzimmern ihrer Familien dahingesiecht waren, weil Angehörige sie wie Aussätzige behandelt hatten. Für primitive Köpfe war Aids immer noch eine Strafe Gottes. Den Nachbarn und Verwandten wurde in so einem Fall meistens erzählt, dass der Sohn, Enkel oder die Tochter im Ausland studierten. Zwei der Kranken waren so schwach, dass sie wohl diese Woche nicht überstehen würden.
    Lea wollte gerade mit ihrer Visite weitermachen, als Nathalia aus dem Zimmer der Hühnerfrau kam. Ihr Blick war auf den Boden gerichtet, doch als sie an Lea vorbeikam, sah sie kurz hoch und sagte leise: „Ich muss mit Ihnen sprechen, Doña Lea.“ Sie machte ihr ein Zeichen, ihr in die Wäschekammer zu folgen.
    Lea blickte sich um, ob jemand sie beobachtete, aber niemand war zu sehen.
    Die Wäschekammer roch nicht nach Stärke und Waschpulver, sondern nach Muff und Feuchtigkeit.
    „Doña Lea, wie soll ich sagen, es gibt da ein paar Fälle, die schon recht eigenartig waren.“ Nathalia drehte das Ende ihres langen schwarzen Haares zu einer Locke und sah Lea nervös an.
    „Inwiefern? Was meinst du mit eigenartig?“ Eine Gänsehaut kroch ihr den Nacken hoch.
    „Zum Beispiel Maria José, erinnern Sie sich, die immer Blumen an die Wände gemalt hat.“
    Lea erinnerte sich noch gut an die ebenfalls geistig behinderte, aber physisch gesunde Frau um die vierzig, die, wo immer sie auch entlangging, Blumen an die Wände, auf die Böden, Stühle und Tische gemalt hatte. Anfangs noch mit dicken Filzstiften, dann wurden diese durch Kreide ersetzt, die besser abzuwaschen ging.
    „Was ist mit ihr?“, fragte sie neugierig.
    „Sie ist einfach plötzlich in der Nacht verschwunden.“
    „Was heißt einfach so verschwunden?“
    „Ich hatte Dienst in der Nacht. Ich habe sie noch ins Bett gebracht, und als ich um drei Uhr morgens nach ihr gesehen habe, war sie weg. Ich habe überall nach ihr gesucht. Der Chef hat mich am nächsten Tag zur Sau gemacht, aber …“
    „Ja?“
    „Ich habe auch im Keller nach ihr gesucht und da habe ich ihn gesehen.“
    „Ihn?“
    „Ja, Ihren Bruder.“
    „Und? Daran ist doch nichts Ungewöhnliches.“
    „Ich weiß nicht. Morgens um drei schon.“
    Leas Augenbrauen hoben sich leicht. Ja, das war in der Tat eigenartig. Was hatte Rafael da unten gemacht? Vielleicht hatte er jemanden für die Beerdigung präpariert.
    „War irgendjemand am Tag zuvor gestorben?“
    Nathaliaüberlegte einen Moment. „Das war meine erste Nachtschicht an diesem Tag, nachdem ich eine Woche krank gewesen war. Das kann ich also nicht so genau sagen.“
    „Was war mit Oscar, war er auch krank?“
    Nathaliaschüttelte den Kopf.
    Lea redete sich ein, dass nichts Ungewöhnliches daran war, dass ihr Bruder um diese Uhrzeit in der Pathologie gewesen war. Natürlich untersuchte er oft die Todesursachen mancher Patienten selbst. Rafael hatte ihr mal in einer betrunkenen Minute gebeichtet, dass tote Körper ihn mehr faszinierten als lebendige. Es war also so eine Art Hobby für ihn, sich in der Pathologie zu tummeln. Rafael wollte nie Medizin studieren, er hatte es gemacht, weil sein Vater es so gewünscht hatte. Sein größter Wunsch war es gewesen, nach dem Studium an der Universität von Antioquia für unbestimmte Zeit nach Europa zu gehen. Weit weg von der Familie. Der Blitz, der ihren Vater vor fünfzehn Jahren getroffen hatte, hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Rafael war kurzerhand zum Chef des

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