Ordnung ist nur das halbe Leben
meine produktivste Zeit. Das Licht der aufgehenden Sonne weckt meine Lebensgeister und meine Schaffenskraft!‹«
»Das ist super!«, sagte ich. »Denn morgen früh muss er als Erstes meinen Sessel reparieren.«
»Und bis er fertig ist, fahren wir nach Sylt und essen Krabbenbrötchen!«, rief Saskia.
»Au ja«, juchzte Ellen. »Urlaub am Strand! Das ist eine gute Idee. Das könnte ich jetzt echt gebrauchen.«
»Wir fahren nicht nach Sylt«, brummte ich. »Sobald der Sessel repariert ist, rasen wir so schnell wie möglich zurück. Weil ich morgen Nachmittag nach London fliege.«
»Du hast doch eben gesagt, du fliegst nicht«, sagte Ellen verwirrt.
»Ja, aber jetzt fliege ich doch«, erwiderte ich.
»Aber warum denn? Was ist denn passiert, verdammt noch mal?«, rief Saskia ungeduldig. »Jetzt raus mit der Sprache!«
Aber ich schüttelte nur mit zusammengepressten Lippen den Kopf.
»Lass sie mal«, sagte Ellen. »Sie erzählt es uns, wenn sie so weit ist. Nicht wahr, Moni?«
Ich nickte, drückte mit grimmiger Entschlossenheit das Gaspedal durch, und wir schossen mit hundertundzwölf Stundenkilometern über die Autobahn. Wenn alles gut lief, würde ich morgen Nachmittag um fünf den Flieger von Köln nach Heathrow kriegen. Zum Glück hatte ich einen Billigflug gebucht, bei dem sich eine Stornierung nicht gelohnt hätte.
Kurz vor Dortmund mussten wir tanken, und ich stellte fest, dass ich meine Handtasche mit Geld, Ausweis, Kreditkarten und Handy in meinem Auto vergessen hatte, das bei meinen Eltern um die Ecke parkte. Das war natürlich äußerst ungünstig.
»Mist!«, rief Ellen. »Ich habe auch nichts dabei! Nur die Wickeltasche. Und da ist mein Portemonnaie nicht drin.«
»Keine Sorge, Mädels«, sagte Saskia. »Tante Saskia hat alles im Griff.« Sie spendierte uns eine Tankfüllung, zwei Flaschen Wasser, drei Kaffee und eine Ladung Schokoriegel.
Aufgeputscht übernahm ich wieder das Steuer, und wir fuhren weiter. Um diese Zeit mitten in der Nacht waren nur noch wenige Autos unterwegs, und es fühlte sich merkwürdig an. Ich war ja selten um diese Zeit überhaupt noch wach. Ellen schlief hinten auf der Rückbank. Eine Hand lag auf dem Maxi-Cosi, als wollte sie sich auch im Schlaf versichern, dass ihr Sohn nicht verschwand. Saskia und ich hörten leise Musik, wobei die Musik eigentlich gar nicht so leise war. Vielmehr war der Motor des alten Busses ziemlich laut. Es war eine merkwürdig intime Atmosphäre, nachts unterwegs zu sein, umgeben von Dunkelheit, und es war beruhigend, meinen Freundinnen so nahe zu sein. Besonders Saskia sah ich nicht so häufig. Im letzten Jahr hatten wir beide unheimlich viel zu tun gehabt, und Saskia musste oft auch am Wochenende und abends arbeiten.
»Wie sieht es eigentlich bei dir aus?«, fragte ich sie. »Irgendwelche Männer in Sicht?«
»Nicht wirklich. Da gibt es diesen Anwalt, den ich vor einiger Zeit im Gericht kennengelernt habe.«
»Diesen Robert?«
»Ja. Es war ganz nett mit ihm.« Sie erzählte, dass sie ins Kino und in Restaurants gegangen seien und dass der Sex sehr gut gewesen sei. »Aber dann wurde es mir zu viel. Er hat mich einfach gelangweilt!«
Das war typisch Saskia. Sie hielt es bei keinem Mann lange aus.
»Aber du kannst mir ja diesen Lennart abtreten, wenn du ihn nicht willst«, sagte sie dann und lachte etwas gekünstelt. »Es klang sehr nett, was du von ihm erzählt hast.«
An Lennart hatte ich gar nicht mehr gedacht. Aber jetzt, wo sie seinen Namen erwähnte, fiel es mir wieder ein. Sein Blick. Sein Mund. Sein Kuss. Und obwohl ich im Moment zu keinerlei Gefühlsregung fähig war, wusste ich doch eines: Die Vorstellung von Lennart und Saskia gefiel mir nicht.
»Er wäre nichts für dich«, sagte ich schnell. »So anspruchsvoll, wie du bist.«
»Solange der Sex gut ist, kann ich mit allerlei Marotten zurechtkommen, sogar mit gemütlichen Fernsehabenden. Zumindest vorübergehend.«
»Willst du denn nie heiraten?«, lenkte ich sie ab.
»Um Gottes willen! Niemals! Eine Beziehung ist eine Mischung aus Langeweile und Anstrengung. Als Single fühlt man sich vielleicht an Weihnachten allein, aber Alleinsein bedeutet auch Freiheit. Und Freiheit ist unersetzlich.«
»Wie unromantisch«, seufzte ich.
»Ach, Schätzchen. Wenn man eine Zeit lang in meinem Job gearbeitet hat, dann kommt einem die Romantik auf jeden Fall abhanden.«
»Aber deine Eltern sind doch auch noch verheiratet.«
»Ja«, sagte Saskia kaum vernehmbar. »Auf dem Papier
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