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schließlich war sie auch in einer Gegend aufgewachsen, in der ein Teenager Tag für Tag mit ziemlich harten Jungs in Berührung kam.
Der letzte Präsident hatte das verstanden und sogar ein entsprechendes Bonmot zitiert: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.“ Bei aller Witzelei über „Cowboy-Diplomatie“ war es doch absolut notwendig gewesen damals. Und es hatte funktioniert. Tatsächlich hatte es sogar so gut funktioniert, dass der jetzige Präsident sich den Luxus erlaubte, sich zurückzulehnen und ganz entspannt so zu tun, als hätten sich die Dinge verändert. Aber die Dinge änderten sich nicht von heute auf morgen und Menschen schon ganz und gar nicht.
Natalie und ihr Chef gehörten zu einer Gruppierung, die in der Haltung des Präsidenten eine Bedrohung dessen sah, was die USA und ihre Verbündeten mit gutem Willen aufgebaut hatten. Und das bedrohte er unbeirrbar, wenn er Verträge aufgab und auf uralte Vereinbarungen zurückkam. Das war falsch und würde das Land auf lange Sicht mehr Menschenleben kosten. Glücklicherweise hatte Natalies Chef genau das erkannt und besaß den Schneid, deswegen etwas zu unternehmen. Der schwierige, undankbare Teil davon war, es niemanden wissen zu lassen, vor allem wenn Gegner wie Senator John Quincy Adams für ihr Leib-und-Magen-Projekt so unverfroren und lautstark Lobbyarbeit betrieben. Für EcoEnergy.
Natalie legte die Akte über ihre Firma beiseite und öffnete das Dossier über Adams. Bisher hatte sie nichts finden können – noch nicht. Er tarnte sich vorzüglich, aber wenn Natalie nicht irgendetwas über William Sidel und EcoEnergy finden konnte, musste sie die Achillesferse des Senators ausfindig machen. Und eine Achillesferse besaß jeder Politiker. Nur war sie bei manchen schwieriger zu finden als bei anderen. Adams gab sich als Wahrer der Rechte des kleinen Mannes und als Anwalt der Umweltschützer, aber den Gerüchten zufolge besaß er ein luxuriöses Anwesen in South Beach, wohin er sich nach seiner Pensionierung zurückziehen wollte. Er predigte, die USA müssten ihre Abhängigkeit von ausländischem Öl verringern, aber dann stimmte er gegen Ölbohrungen vor der Küste Alaskas. Er wurde als politischer Außenseiter bezeichnet, als er mit den Republikanern für ein Gesetz votierte, das eine Ehe genauer definieren sollte, aber Natalie hatte die Frau des Senators noch nie getroffen. Mit solchen Widersprüchlichkeiten konnte man nur in Washington durchkommen.
Natalie schüttelte den Kopf. Plötzlich kam es ihr so vor, als laste auf ihren Schultern die Bürde der Verantwortung für die Zukunft des amerikanischen Volkes. Eigentlich könnte es – nein, sollte es – sich um eine ganz einfache geschäftliche Angelegenheit handeln, wenn nicht Dr. Lansik urplötzlich seine Meinung geändert hätte. Und nun musste sie zu Plan B übergehen, und, verdammt, sie hatte auch ohne eine verdeckte Operation schon genügend Probleme in ihrem Job.
Dann lächelte sie wegen des Begriffs „verdeckte Operation“. Vielleicht war sie auf eine gewisse Art ja doch noch zu einer schwarzen Emma Peel des 21. Jahrhunderts geworden.
19. KAPITEL
EcoEnergy
Sabrina blieb wie angewurzelt stehen und starrte den schmutzig weißen Crown Victoria an. Über ihr am Himmel türmten sich Gewitterwolken auf, die leise grollten und nur langsam dahinzogen. In der Dämmerung schaltete sich die Beleuchtung des Parkplatzes ein. Nicht einmal eine sanfte Brise regte sich, nichts, was in der schweren, feuchten Luft Linderung gebracht hätte. An Wochenenden fehlte das Rumpeln der Tanklaster, das Jaulen der Hydraulik; nur ein leises Summen war zu hören, das sich mit dem Quaken der Frösche am Flussufer vermischte. Zum ersten Mal wurde Sabrina bewusst, dass der Parkplatz ganz nahe am Fluss lag.
Sie hielt die Fernbedienung der Zentralverriegelung hoch. Sie war sich sicher, dass es Dwight Lansiks Auto war. Aber als sie die Taste drückte, erschrak sie trotzdem, als sich die Türen geräuschvoll entriegelten.
Es konnte immer noch einen logischen Grund für sein plötzliches Verschwinden geben. Vielleicht war es ein Notfall gewesen, und jemand hatte ihn abgeholt. Und wenn er überstürzt hatte aufbrechen müssen, erklärte das sowohl das zurückgelassene Auto als auch seinen Rucksack. Was auch immer passiert war, es ging sie im Grunde genommen nichts an.
Sie öffnete die Fahrertür, sah sich im Inneren des Autos um und schaute hinter die Sitze, ohne zu wissen, wonach sie eigentlich suchte. Dann ging
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