Organic
um. Wem machte er eigentlich was vor? Der Job war sein Leben. Er konnte sich nicht mal erinnern, wann er zum letzten Mal spontan im YMCA Basketball gespielt hatte. Als er Bürochef geworden war, hatte er aufgehört, mit Kollegen etwas trinken oder eine Pizza essen zu gehen. Selbst seine Kollegen aus seiner Zeit als Bote hatten ihn abgeschrieben, sobald er in ein großes Büro mit Sekretärin und Spesenkonto umgezogen war. Nein, das war nicht richtig. Er selbst war es gewesen, der ihnen aus dem Weg gegangen war, nur weil man das von ihm erwartete.
Er zappte durch die Programme und suchte nach neuen Informationen zum Mord an Zach. Bei „ABC“ und „Good Morning America“ blieb er hängen und blätterte dabei durch die Zeitungen. Bei der Rückkehr von seinem Lauf hatte er die „Post“ und die „Times“ gekauft. Er trank einen Schluck Orangensaft direkt aus der Packung und überflog die Schlagzeilen. Wie konnte es sein, dass ein enger Mitarbeiter eines Kongressmitglieds in einem Hotel in Washington ermordet wurde und es damit nicht auf Seite eins schaffte? Vielleicht war es doch keine so große Sache. Oder jemand hatte dafür gesorgt, dass das Ganze aus den Medien herausgehalten wurde.
Er fragte sich, was Lindy, wenn überhaupt, Senatorin Malone über die Nacht mit ihm im Hotel erzählt haben mochte. Es war egal. Es sollte keine Rolle spielen. Verflucht! Gerade wurde ihm klar, dass es ihm ganz und gar nicht egal war, was Senatorin Malone von ihm dachte.
Er leerte die Packung Orangensaft mit zwei letzten Schlucken und warf sie in den Mülleimer unter der Spüle. In diesem Moment unterbrach eine Stimme im Fernsehen seine Gedankengänge.
Er ging zum Bildschirm, griff nach der Fernbedienung und stellte die Lautstärke hoch. Die ganze Zeit über suchte er nach einem Hinweis, dass es sich um Archivaufnahmen handelte. Aber nein, das war live, heute, es passierte genau jetzt. In „Good Morning America“, über eine Satellitenschaltung, interviewte Robin Roberts gerade William Sidel.
60. KAPITEL
Pensacola Beach, Florida
Sabrina hatte gedacht, sie würde nicht schlafen können. Seitdem sie nach Florida gezogen war, hatte sie Schlafprobleme. Wenn sie einschlief, dann für ein oder zwei Stunden voller Träume, die keine Erholung brachten. Denn selbst ihre Träume waren anstrengend. Darin packte sie andauernd für Reisen, die sie nicht geplant hatte, oder sie zog sich an für Verabredungen, für die sie viel zu spät dran war.
Manchmal tauchte ihre Mutter auf und lud Sabrina in ein Haus ein, das Sabrina nicht wiedererkannte. Ihre Mutter stand in der Haustür und winkte ihr lächelnd zu, aber wenn sie sich umdrehte, sah Sabrina die Seite ihres Gesichts, die noch immer vom Unfall verletzt war. Davon wachte sie jedes Mal auf, manchmal atemlos, manchmal weinend. Das Weinen überraschte sie, weil sie um ihre Mutter in wachem Zustand nie geweint hatte. Sie hatte es sich einfach nicht gestattet.
Diesmal war der Schlaf anders. Leicht, fast schwerelos glitt sie durch eine Brise Seeluft. Sie war ganz entspannt. Sie fühlte sich sicher. Sie roch das salzige Wasser, dazu eine Mischung aus Kaffee und gebratenem Speck. Sie vermeinte Möwen zu hören ... und Gesang. Ihre Lider waren zu schwer, um die Augen zu öffnen. Sie wollte den Traum einfach nicht verlassen. Irgendwo auf der anderen Seite stand ein Mann mit einem Baseballschläger, die Ärmel hochgekrempelt, den Schläger über seine Schulter gelegt und bereit für den Schlag. Dann sah sie plötzlich Anna sowie einen weißen Fallschirm, der sich aufblähte, als sie fiel und genau auf Dwight Lansik in einem Behälter mit Schlachtabfällen landete.
Sabrina wachte so plötzlich auf, dass der Wagen ruckte. Auch Miss Sadie schreckte hoch. Sogar Lizzie gab einen Laut von sich.
„Sind Sie in Ordnung, Liebes?“ Miss Sadie richtete sich auf und drehte sich zu ihr um, während sie gleichzeitig nach ihrer Brille griff.
Sabrina sah, dass sich aus dem makellosen Haarknoten der alten Dame mehrere Strähnen gelöst hatten. Ihre Tränensäcke waren vom langen Fahren durch die Nacht geschwollen.
„Wo sind wir?“ Sabrina setzte sich langsam auf und sah sich auf dem Parkplatz um.
„Pensacola Beach“, verkündete Miss Sadie und zeigte über die Motorhaube auf den bunten Wasserturm auf der anderen Straßenseite, der vor dem klaren Morgenhimmel wie ein riesiger Strandball in Grün, Blau, Gelb und Orange wirkte. Hinter dem Turm war nichts als Strand und Wasser zu sehen, die
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