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beobachtete sie. „Emotionen schaukeln sich hoch, und plötzlich ist jemand tot.“
„Ich habe sie nicht umgebracht. Das weißt du doch, oder?“ Sie konnte kaum fassen, dass sie ihn davon noch überzeugen musste. Aber wenn er sich verändert hatte, nahm er vielleicht an, dass auch sie sich verändert haben müsse.
„Hey, du sprichst immerhin mit dem Kerl, den du mal mit einem Baseballschläger niedergemacht hast“, witzelte er und rieb sich über die leichte Delle über seiner Nase.
Sie war nicht zu solchen Scherzen aufgelegt, aber immerhin gab sie zurück: „Nur weil du viel zu nah am Schlagmal gestanden hast.“
„Du hast angefangen zu heulen, als du meine blutige Nase gesehen hast“, sagte er lachend.
„Hab ich nicht“, log sie trotzig, weil sie sich nur zu gut erinnern konnte, wie sie in Tränen ausgebrochen war. Sie war damals erst sechs gewesen. Sie dachte, er hätte eine Kopfverletzung. Aber auch dass er sich nur die Nase gebrochen hatte, war ihr kein wirklicher Trost gewesen.
Dann sah er sie ernst an. „Du warst völlig entsetzt, weil du mir wehgetan hattest. Ich glaube nicht, dass du irgendjemandem etwas Ernsthaftes tun könntest.“
„Du hast mich zwei Jahre nicht gesehen. Vielleicht habe ich mich ja verändert.“
„So sehr verändern sich Menschen nicht. Man mag den Beruf wechseln, die Religion, seine Liebhaber -“
„Oder seinen Namen“, warf sie ein und beobachtete, welche Wirkung sie auslöste.
„Woher weißt du das?“
„Was denn? Dass du dich heutzutage Eric Gallo nennst?“
„Es ist nicht so, wie du denkst.“
„Was ich denke? Du bist vor zwei Jahren aus meinem Leben verschwunden. Das war deine Entscheidung. Ich wurde nicht gefragt.“ Sabrina wusste nicht, wo plötzlich der Ärger herkam, aber es tat gut, ihn rauszulassen. Das musste mal gesagt werden. „Du warst weg, als ich dich so gebraucht habe. Einfach so. Ohne eine Adresse zu hinterlassen.“
Sie war noch immer verletzt und wütend und wollte ihn wissen lassen, dass sie keine Ahnung hatte, ob sie ihm jetzt trauen konnte, auch wenn sie niemand anderen hatte. „Du hast Dad in Chattahoochee besucht, aber bei mir warst du nicht.“
Sie hörte auf und hielt das Schweigen aus, während sie ihn unverwandt ansah. Sie schaute ihn einfach nur an. Und wehe, er würde wieder einen Witz machen oder so tun, als sei das alles keine große Sache. Und ohne eine Erklärung würde sie nicht hierbleiben ... und ohne eine Entschuldigung auch nicht.
„Ich bin aus Chicago weggegangen, weil ich wütend auf Dad war. Nicht auf dich.“
Das wusste Sabrina längst. Sie wusste, dass Eric ihren Vater für den Tod ihrer Mutter verantwortlich machte.
„In meinem Leben ist damals ziemlich viel schiefgelaufen“, fuhr er vage fort. „Es war einfacher, wegzugehen und jeden Kontakt abzubrechen ... um wieder zu mir zu kommen. Da warst du so eine Art ungewollter Kollateralschaden.“
Sabrina blinzelte, als hätte das Wort „Kollateralschaden“ ihr physischen Schmerz zugefügt. Eric entging das nicht, und er sagte: „Aber ich habe dich jeden einzelnen Tag vermisst.“
76. KAPITEL
Tallahassee, Florida
Leon versuchte das Licht der Taschenlampe mit seinem Körper abzuschirmen. Es war so leicht gewesen, in das Häuschen der Galloway einzudringen. Wieso versteckten die Leute ihre Zweitschlüssel nur immer an den offensichtlichsten Stellen? Er hätte sie für ein wenig schlauer gehalten, als einen Blumentopf auf der Terrasse hinter dem Haus zu benutzen.
Er hatte eine zusammengerollte Zeitung auf der Treppe zur Haustür bemerkt. In ihrer Garage stand immer noch ein billiger Leihwagen. Er ging davon aus, dass die Polizei längst alle Flüge nach Chicago überprüft hatte, weil das der nächst – liegende Fluchtort war. Ein wenig zu naheliegend, meinte Leon, aber vielleicht traute er ihr auch einfach zu viel zu. Schließlich versteckte sie den Zweitschlüssel zu ihrem Haus unter einem beschissenen Blumentopf.
Er ließ den schmalen Lichtkegel rasch über die Möbel gleiten, fand aber nur ein gerahmtes Foto. Ein Familienfoto. Er erkannte einen jüngeren Arthur Galloway. Die Tochter sah nicht viel anders aus, genauso attraktiv, aber vielleicht ein bisschen weniger angespannt. Ihr Bruder war eine Mischung aus Hollywoodstar und Sportidol mit seinen dunklen Haaren, braunen Augen, dazu einem schiefen Grinsen und einem markanten Kinn. Er kam tatsächlich nach seiner Mutter. Die geliebte Meredith war sogar noch schöner, als Leon sich vorgestellt
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