Organic
hatte: ein ansteckendes Lächeln, ein intensiver, aber warmherziger Blick. Er konnte seine Augen kaum abwenden. Eine verdammt hübsche Familie.
Er überprüfte das Telefon, sah die Liste der Anrufer durch und die Nummern im Speicher. Auf dem Kalender neben dem Kühlschrank in der Küche waren keine Eintragungen. Auch auf dem Schmierblock neben dem Telefon waren weder Notizen noch der Abdruck von Geschriebenem auf dem letzten abgerissenen Blatt zu entdecken.
In einer Schublade fand Leon ein ledergebundenes Adressbuch. Da war es also doch. Die Ecken waren abgestoßen, und einige der Einträge waren durchgestrichen oder mit Randnotizen versehen. Neben den Zusätzen standen sogar Daten, vermutlich der Zeitpunkt der Ergänzungen. Das Büchlein wurde offensichtlich benutzt, aber trotzdem fand sich darin kein Eintrag neueren Datums zu Eric Galloway. Nur eine Adresse und Telefonnummer in Chicago, mit einem großen X ausgestrichen. Aber keine neuen Informationen daneben. Nichts.
Leon blätterte das Adressbuch noch ein letztes Mal durch – vielleicht hatte sie ihren Bruder ja woanders eingetragen, aber das bezweifelte er. Er fand, dass diese Galloway ausgesprochen gut organisiert war. In diesem Moment wurde hinter ihm das Licht eingeschaltet.
Er erstarrte, wartete, lauschte. Wie hatte ihn jemand ertappen können? Schweißtropfen liefen seinen Rücken hinunter, und er spürte sie auch auf der Stirn. Er widerstand dem Impuls, sie wegzuwischen, und konzentrierte sich auf Schritte, die vielleicht näher kamen, oder auf eine Stimme, die „Hab ich dich!“, sagte. Konnte es sein, dass sie sich hier irgendwo versteckt hatte? Und er zweifelte daran, dass sie ihm so unverfroren auflauerte, ohne bewaffnet zu sein.
Anstatt sich ganz langsam umzudrehen – was zu erwarten gewesen wäre – sprang Leon hinter das Sofa. Dabei schlug er mit dem Ellbogen auf den Couchtisch und mit dem Kopf so hart gegen das Klavier, dass es einen Missakkord von sich gab.
„Scheißteil“, murmelte er und fingerte nach dem Revolver in seinem Gürtel, während er den Blick durch den Raum schweifen ließ. Er sah zwar alles doppelt, aber glücklicherweise keinen Menschen.
Da hörte er ein zweites Klicken. Er fuhr herum in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Mit beiden Händen hielt er seine Waffe, die Arme weit von sich gestreckt und bereit zum Schuss. Aber wieder war niemand zu sehen.
Er war jetzt auf Augenhöhe mit einer Steckdose. Und darin steckte eine Zeitschaltuhr. Leon verfolgte mit den Augen das Kabel von dem Stecker, der in der Zeitschaltuhr steckte. Es führte geradewegs zu der Lampe, die gerade angegangen war.
„Scheißteil“, murmelte er wieder und rappelte sich hoch.
Die Frau hatte vermutlich überall Zeitschaltuhren angebracht, damit es so aussah, als wäre jemand zu Hause. Das hätte ihn eigentlich nicht weiter überraschen sollen. Sie war genau der Typ für so was. Unter Garantie war auch die Kaffeemaschine an eine Zeitschaltuhr gekoppelt und auch die Leuchtröhre über der Spüle.
Er durchsuchte den Rest des Häuschens und ließ dabei das Licht im Wohnzimmer eingeschaltet, weil es ihm bei der Suche half. Aber mit oder ohne Licht dauerte es nicht allzu lange, um herauszufinden, dass da nichts war, was erklärte, wohin sie gegangen war und wie. Vielleicht noch ein Leihwagen, überlegte er und verwarf den Gedanken sogleich wieder. Darauf wären die Bullen längst gekommen. Wie also hatte sie sich davongemacht? Zu Fuß etwa?
Ein letztes Mal sah er Raum für Raum durch und ging noch einmal zum Pinkeln ins Badezimmer im ersten Stock. Dann beschloss er, das Haus für ein paar Stunden von seinem Lieferwagen aus, den er ein paar Häuser weiter abgestellt hatte, zu beobachten. Bevor er in Chattahoochee losgefahren war, hatte er wieder die Nummernschilder gewechselt. Er hoffte, dass es noch eine Achtstundenschicht dauern würde, bis ihn die Eigentümerfirma vermisste. Und wer würde sich schon in einer Sackgasse wie dieser über den Servicewagen einer Klimaanlagenfirma wundern, der spät abends noch hier zu tun hatte, noch dazu an einem so beschissen heißen Abend?
Leon lief durchs Wohnzimmer zurück, wobei er das Fenster zur Straße mied, obwohl die Vorhänge zugezogen und die Jalousien heruntergelassen waren. Als er an der Tür zum Garten vorbeikam und sie gerade aufmachen wollte, beschloss er, noch nicht gleich zu verschwinden. Er ging zu der Wand mit dem Familienfoto, nahm es ab und steckte es unter den Arm. Dann verließ
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