Orgie im Mondschein
Sie?« fragte sie.
»Gehen Sie und schauen Sie sich
in einem Spiegel an.«
Sie verschwand im Schlafzimmer,
und ich hörte einen gequälten Aufschrei, nachdem sie vermutlich einen Blick in
den Spiegel geworfen hatte. Dann knallte die Tür zu. Ich trank mein Glas leer,
goß zwei frische Drinks ein und brachte sie ins Wohnzimmer zurück. Etwa zehn
Minuten später erschien Sally wieder in einem grünseidenen Pyjama, einen dazu
passenden Turban um den Kopf gewickelt. Die Schwellung ihrer Unterlippe war ein
wenig zurückgegangen, vermutlich hatte sie eine kalte Kompresse darauf gelegt.
Sie setzte sich wieder auf die Couch und trank einen Schluck aus dem Glas, das
ich ihr reichte.
»Fühlen Sie sich besser?«
fragte ich freundlich.
Sie fletschte ein wenig die
Zähne. »Innerhalb einer Stunde ruiniert er mein gesamtes Leben, und dann sagt
er: >Fühlen Sie sich besser?< Wer sind Sie eigentlich? Der Marquis de
Sade?«
»Das wäre vielleicht nicht
ohne.« Ich dachte eine Weile darüber nach. »Ich werde der Marquis sein und Sie Justine nennen. Wie wäre es, wenn ich Sie an den Füßen von
der Decke herabhängen ließe und mit Siruppfannkuchen nach Ihnen würfe? Lustig, nicht?«
»Ach, halten Sie die Klappe,
und geben Sie mir eine Zigarette.«
Das tat ich und zündete sie ihr
auch an. Sie rauchte eine Weile schweigend und blickte mich dann aus dem
Augenwinkel heraus an. »Was haben Sie mit Linc gemacht?«
»Er ist die Treppe
hinuntergefallen.«
»Sie meinen, Sie haben ihn
hinuntergeworfen? Ist ihm was passiert?«
»Nein. Er stand wieder auf und
humpelte singend davon.«
Sie trank schnell einen
weiteren Schluck Bourbon. »Er wird uns ganz bestimmt alle beide daraufhin
umbringen! Wir sollten jetzt sofort nach Mexiko oder sonstwohin fahren, statt hier zu sitzen!«
»Worüber wissen Sie denn soviel , daß er Sie umbringen muß?« fragte ich.
»Wenn ich irgendwelchen Sinn
für Humor hätte, würde ich jetzt lachen«, sagte sie verbittert. »Wissen Sie,
warum? Weil ich das nicht weiß!«
»Wie?«
»Ich weiß, daß ich zuviel weiß, aber was dieses Zuviel ist, weiß ich nicht —
ehrlich nicht!«
Ich schloß meine Augen für ein
paar Sekunden und öffnete sie dann wieder. Sie saß nach wie vor da und
beobachtete mich; ihr Kopf saß ihr wie zuvor auf den Schultern; ich hatte also
richtig gehört.
»Sie glauben, Sie wissen zuviel über Page, und nun wird er Ihnen gefährlich werden?«
sagte ich langsam.
»Ganz recht.« Sie nickte
heftig.
»Aber Sie wissen nicht,
inwiefern Sie zuviel über ihn wissen?«
»Genauso ist es.«
»O Himmel!« Ich lehnte mich in
meinen Stuhl zurück. »Warum habe ich mich nicht einer einfachen Berufssparte
zugewandt — wie zum Beispiel Kernphysik?«
»Es ist völlig Ihre Schuld, Holman «, fuhr sie mich an. »Sie haben mich in diese
Situation hineinmanövriert und müssen mir jetzt hinaushelfen.«
»Okay.« Ich zuckte hilflos die
Schultern. »Was habe ich dabei schon zu verlieren außer meinem Verstand? Seit
wir uns vor Julie Marchants Garderobe im Angebundenen
Ziegenbock getroffen haben, haben Sie das zu mir gesagt, was Page Ihnen
befohlen hat — ja?«
»Stimmt!«
»Warum fangen wir nicht von vorn
an, und Sie erzählen mir einmal die Wahrheit?«
Sally überlegte einen
Augenblick. »Ich kann es vielleicht versuchen. Aber manches davon ist sehr
verwirrend.«
»Das kann ich mir vorstellen.
Sie sagten, Sie seien Julies beste Freundin. Stimmt das?«
»Nun ja, ich glaube, es war
wenigstens so — in gewisser Weise.«
»Was soll das nun wieder
heißen?«
»Ich war es — bis Linc mich bat, zu... Das ist auch so kompliziert. Es
stimmt, daß ich Julie beim Gesangunterricht kennengelernt habe und daß wir uns
befreundeten. Dann lernte ich Linc kennen und
verliebte mich Hals über Kopf in ihn. Als er mich darum bat, ihm Julie
vorzustellen, weil ich zufällig erwähnt hatte, daß Carol Johnny Reinharts
Freundin sei...«
»Halt, halt!« schrie ich. »Was
war denn daran, daß Carol Johnny Reinharts Freundin war, so bedeutsam?«
»Nun, Linc behauptete, er und Johnny seien eine Art geschäftlicher Konkurrenten und...«
»Soll das heißen, daß Page in
der Importbranche tätig ist?«
»Ich glaube nicht«, sagte sie
gelassen. »Warum?«
»Weil Johnny Reinhart darin
tätig ist«, knurrte ich. »Wie können sie also Konkurrenten sein, wenn sie nicht
in derselben Branche beschäftigt sind?«
»Wie meinen Sie das?«
Ich lauschte eine Weile auf
meinen eigenen schweren Atem und versuchte es
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