Orgie im Mondschein
schob ihn bis zur obersten Treppenstufe, wo er sich losriß und aufzustehen begann. Als er beinahe soweit war,
preßte ich ihm die Handfläche ins Gesicht und stieß zu. Er fiel rücklings die
Treppe hinab, und es klang wie ein entgleister Zug, als er auf seinem Weg hinab
gegen jede dritte Stufe prallte. Ein paar Sekunden lang blieb er unten liegen,
dann raffte er sich langsam wieder auf und hinkte in die Nacht hinaus. Ich
kehrte in die Wohnung zurück, schloß sorgfältig die Tür hinter mir und ging
wieder ins Wohnzimmer.
Sally starrte mich
unheildrohend an, dann begannen ihre Augen plötzlich zu rollen und glasig zu
werden, und gleich darauf trommelten ihre Absätze heftig auf den Fußboden. Ihr
Mund öffnete sich und heraus kam ein schriller durchdringender Ton; es klang
wie ein schottisches Lamento wegen eines gestohlenen Geldbeutels oder
vielleicht auch wie das irische Lamento einer Irin um einen verlorenen » Leprechaun «, aber in jedem Fall war die Wirkung auf das Ohr
unangenehm. Ich entsann mich meines Kurses für Erste Hilfe und strebte der
Küche zu, füllte einen Krug mit kaltem Wasser, brachte ihn zur Couch zurück und
leerte vorsichtig den Inhalt über Sallys Kopf. Sofort hörte das Lamento auf,
die trommelnden Absätze hielten inne, und der Körper wurde schlaff.
»Sie brauchen sich keine Sorgen
mehr zu machen, Süße«, sagte ich vergnügt. »Page ist weg; und ich wette, er
wird nie wiederkommen.« Ihre Augen rollten wild in den Höhlen, und dann brach
sie in Tränen aus. Ich begriff das nicht; ich meine, ich hätte eher angenommen,
sie wäre mir dankbar gewesen, anstatt die Tränenschleusen zu öffnen. Aber
schließlich, dachte ich philosophisch, wer verstand schon Frauen — nicht einmal
andere Frauen konnten das. Ich goß zwei Gläser von schockbekämpfender Größe ein
und drückte ihr vorsichtig eins davon in die Hand. Das war ein Fehler — sie
warf mir den Inhalt geradewegs ins Gesicht. Nachdem ich mich mit meinem
Taschentuch mehr oder weniger trocken gewischt hatte, setzte ich mich in einen
Stuhl ihr gegenüber, widmete mich meinem eigenen Drink und zündete mir eine
Zigarette an.
Nach einer Weile hörte sie zu
weinen auf und blieb mit tragischem Ausdruck auf dem Gesicht sitzen, als ob der
Himmel über ihr zusammengebrochen sei und sie die Stücke auflesen und wieder
zusammenfügen müsse.
»Es ist Ihnen hoffentlich
klar«, murmelte sie über ihre geschwollene Lippe hinweg, »daß Sie damit zum
Mörder geworden sind!«
»Wieso?« fragte ich höflich.
» Linc wird das nicht auf sich beruhen lassen — er wird zurückkommen und mich
umbringen!«
»Darüber würde ich mir keine
großen Sorgen machen«, beruhigte ich sie. »Er wird bald eine andere hirnlose
Blondine gefunden haben und...«
»Er wird mich umbringen, weil
ich zuviel weiß«, murmelte sie wild. »Sie blöder
Gorilla, begreifen Sie das denn nicht?«
»Es gibt eine ganz einfache
Methode, das zu regeln.«
»Welche denn?«
»Sie erzählen mir, was Sie
wissen, dann muß er uns beide umbringen«, sagte ich. »Dann gehen wir fort und
erzählen noch zwei anderen Leuten, was wir wissen, und er muß vier umbringen.
Dann gehen die fort und...«
»Ach, hören Sie auf!« stöhnte
sie. »Ich werde Sie selber umbringen, sobald ich wieder die Kraft dazu habe!«
»Lassen Sie sich Zeit, wir
haben die ganze Nacht vor uns«, sagte ich liebenswürdig.
»Hauen Sie ab, und brechen Sie
sich das Genick auf der Treppe!«
»Okay.« Ich nickte. »Das ist
eine großartige Idee. Ich möchte ohnehin nicht hier sein, wenn Linc Page zurückkommt und...«
»Nein — nicht!« Ihre Augen
weiteten sich. »Ich möchte nicht allein sein — ich...« Sie schloß fest die
Augen und trommelte ein paar Sekunden lang mit den Fäusten auf die Schenkel.
»Sie! Wenn ich daran denke, in was für eine Situation Sie mich da
hineinmanövriert haben, mit diesem...« Es fehlten ihr für ein paar weitere
Sekunden die angemessenen Worte. »Bleiben Sie hier! Gießen Sie mir was zu
trinken ein, während ich hier aufräume!«
»Wie Sie wollen, Süße.«
Sie stand mühsam von der Couch
auf und blieb, mich finster anstarrend, stehen. Ihr kurzes Haar war fest an
ihren Kopf geklebt, und das Wasser hatte auch ihr Mascara in Fluß gebracht; sie
hatte noch immer ihren Clownsmund, und die geschwollene Unterlippe stand vor
wie ein kleiner Ballon. Mit ihrem zerrissenen Büstenhalter und allem Drum und
Dran sah sie aus wie die letzte Überlebende eines Erdbebens.
»Was grinsen
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