Orphan 2 Juwel meines Herzens
doch vollkommen gleich! Falls Sie oder eine dieser Frauen bedroht werden, müssen Sie sofort zur Polizei gehen - haben Sie das begriffen? “
„Sie verstehen nicht! “
„Dann klären Sie mich verdammt noch einmal auf! “
Besorgt musterte er sie aus dunklen leuchtenden Augen. Doch sie ließ den Kopf sinken und betrachtete angestrengt seine großen Hände. Sie waren kräftig und wirkten gepflegt - nicht rau und schmutzig wie die von Archie. Beunruhigt entdeckte sie den Verband an Brydens Linker. Blut sickerte aus der Wunde und hinterließ auf dem weißen Mull eine rote Spur. Offenbar war die Verletzung ganz frisch. Ich darf nicht vergessen, dass er ein Adliger ist, der keine Ahnung von dem Leben auf der Straße hat, rief Charlotte sich ins Gedächtnis. Lord Bryden mochte ja einen ausgezeichneten Gentleman-Juwelendieb abgeben, einem brutalen Ganoven wie ihrem Vater war er allerdings mit Sicherheit nicht gewachsen. Boney Buchan würde kurzen Prozess mit ihm machen, ja, ihn vielleicht sogar umbringen!
„Ich kann nicht“, flüsterte sie gequält. „Unmöglich! “
Liebe Güte, dachte Harrison entnervt, diese Frau ist einfach unglaublich! Da humpelte sie in ihren bescheidenen grauen Kleidern umher und war so zart, dass man fürchten musste, der nächste Windstoß würde sie wegwehen. Aber gnade Gott, sie setzte sich etwas in ihren entzückenden Dickkopf! Dann verwandelte sie sich in den Felsen von Gibraltar. Es war doch wirklich kaum zu fassen. Sie weigerte sich schlicht, seine Hilfe anzunehmen oder wenigsten zur Polizei zu gehen. Nun, aber so war Miss Kent eben.
Wer auch immer sie um das Geld erpresste, hatte sie jedenfalls wirkungsvoll eingeschüchtert.
Er fluchte im Stillen. Diese ganze Angelegenheit hatte ihm wirklich gerade noch gefehlt. Als ob er nicht selbst schon bis zum Halse in Schwierigkeiten steckte! Jeden Augenblick konnte ein Inspector hier auf tauchen und ihn festnehmen. Oder aber der Kerl, der den Schatten gab, hatte genug von dem lästigen Bryden, der ihm das Leben schwer machte, und beschloss, selbigen zu ermorden. Seine Mutter verlor zu allem Überfluss endgültig jeden Bezug zur Wirklichkeit und benötigte ständige Aufsicht und Schutz. Die Geschwister bedurften seiner finanziellen Unterstützung. Und diese unerträglichen Kopfschmerzen machten es ihm nahezu unmöglich, seine Investitionen vernünftig zu planen, bevor auch er endgültig geistig umnachtet sein würde. Böse sah er Charlotte an. Wären Sie einander doch nur nie begegnet!
Lastete nicht schon genug Verantwortung auf seinen Schultern, verdammt?
„Da bist du ja! “ hörte er plötzlich seine Mutter rufen, die ins Zimmer gestürmt kam. „Ich suche dich schon überall, Harry! Wo hast du dich nur die ganze Zeit versteckt? “ Rasch wandte Harrison sich um und trat einige Schritte von Charlotte zurück. „Ich war hier, Mutter. Hat Telford dir denn nicht ausgerichtet, dass ich gleich zu dir komme? “ „Oh, aber er sagte, du wärst ganz unglücklich, weil dein Vater und ich streiten. Da bin gleich losgelaufen, damit ich dich trösten kann. “
Erstaunt beobachtete Charlotte, wie die zierliche Dame mit dem silberweißen Haar eine blasse Hand hob und Lord Bryden zärtlich eine Locke aus der Stirn strich. Die Frau konnte kaum älter als sechzig sein. Jede ihrer Gesten verriet, dass sie ihr ganzes Leben im Bewusstsein der eigenen Schönheit und des Geliebtwerdens verbracht hatte. Sie trug eine beeindruckende Robe aus saphirblauer Seide, deren Röcke ein wenig zu ausgestellt waren, um der gegenwärtigen Mode zu entsprechen. Offenbar war der Kleiderschrank Lady Brydens schon um einige Jahre veraltet. An ihrem Hals glitzerte ein wunderbares Collier, das große Diamanten und Saphire zierten und von schweren passenden Ohrringen ergänzt wurde. Die Steine mehrerer Ringe funkelten mit einer Brillantbrosche um die Wette. Sie sah aus, als plane sie noch heute Abend den Besuch eines exquisiten Balls, für den sie sich über und über mit Juwelen geschmückt hatte.
Ist sie gar der Grund dafür, dass Lord Bryden nachts in die feinsten Londoner Häuser einbricht, um teuren Schmuck zu stehlen? fragte Charlotte sich erstaunt.
„Mein lieber armer Harry“, gurrte nun Lady Bryden. „Du musst dich doch nicht grämen, wenn dein Vater und ich einmal eine Meinungsverschiedenheit haben. Das kommt eben ab und zu bei Erwachsenen vor. Nur keine Angst, es hat wirklich nicht das Geringste zu bedeuten, mein Liebling. Dein Vater und ich sind einander viel
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