Orphan 2 Juwel meines Herzens
Mutter schon so, als Sie noch klein waren? “ Charlotte konnte sich gut vorstellen, wie schlimm es für einen kleinen Jungen sein musste, mit einer verwirrten Mutter groß zu werden.
„Nein. “
Harrison nahm einen Schluck Whisky und betrachtete das Gemälde seiner Mutter mit ihren drei Kindern, das an der Wand gegenüber von seinem Schreibtisch hing.
Sein Vater hatte es in Auftrag in gegeben, als Margaret ein Jahr, Frank fünf und Harrison selbst elf gewesen war. Sie saßen auf dem Bild alle vier in einem der Gärten ihres Landsitzes. Über ihnen breitete ein uralter Baum sein dichtes Blattwerk, den der erste Lord Bryden vor zweihundertfünfzig Jahren dort gepflanzt hatte, als er mit dem Bau des Hauses begonnen hatte. Harrisons Vater war dort aufgewachsen und hatte im Schatten dieses Baumes als Kind gespielt. Deshalb war es auch sein Wunsch gewesen, dass seine geliebte Gemahlin und die Kinder ebendort porträtiert wurden - wann immer er das Bild betrachtet, hatte er dann alles vor Augen gehabt, was ihm Leben am Liebsten gewesen war. So hatte er damals gesagt.
„Wo leben Ihre Schwester und Ihr Bruder heute? “ „Margaret ist verheiratet, wohnt in Frankreich und hat inzwischen selbst zwei Kinder. Frank ist nach Chicago gezogen und versucht dort sein Glück als Unternehmer. “ „Besuchen sie Ihre Mutter noch ab und zu? “
„Sehr selten. Margaret kam früher regelmäßig zu Besuch, bevor die Kinder auf der Welt waren. Aber jetzt ist es schwer für sie, mit den beiden Kleinen eine so weite Reise zu unternehmen. Außerdem kann meine Mutter wirklich sehr unberechenbar sein. In einem Augenblick ist sie glücklich und zufrieden, dann wieder... Verständlicherweise will Margaret ihre Kinder nicht den sonderlichen Launen der Großmutter aussetzen. Sie sind noch so jung und wüssten kaum, was vor sich geht. “
„Und wie steht es mit Ihrem Bruder? “
„Die Schiffspassage über den Atlantik dauert länger als eine volle Woche. Dafür fehlt ihm die Zeit. “
„Schreibt er ihr denn? “
„Anfänglich ja. Bedauerlicherweise aber hat sie nie ganz begriffen, von wem die Briefe stammten. Von wenigen hellen Sekunden abgesehen, ist Frank für sie das fünfjährige Kind dort auf dem Gemälde. Sie begreift einfach nicht, dass er erwachsen ist und auf einem anderen Kontinent lebt oder dass ihre Tochter inzwischen selbst Kinder hat. “
„Ist Lady Bryden denn wenigstens von Zeit zu Zeit klar, dass Sie inzwischen ein Mann sind und kein kleiner Junge mehr? “
„Früher durchaus. Aber ihre lichten Augenblicke werden immer seltener. Es wird nachher ein hübsches Stück Arbeit werden, ihr zu erklären, dass sie mir nicht die Haare schneiden darf“, meinte er ermattet und fuhr sich durch die Locken.
„Ich könnte Ihnen zu einem neuen Schnitt verhelfen, wenn Sie wünschen“, schlug Charlotte vor. „Dann stört Ihre Frisur Lady Bryden wenigstens nicht mehr. “
Verblüfft schaute er sie an. Es war lange her, dass jemand anders als die Dienstboten ihm angeboten hatte, etwas für ihn zu tun. „Danke, aber das sollte unnötig sein. Trotzdem, nochmals danke. “
Noch immer sah er sie unverwandt an, bis sein Blick Charlotte unangenehm wurde. „Gut, ich werde mich jetzt also verabschieden“, entschied sie. „Der arme Oliver wird sich bestimmt schon ängstlich fragen, ob mir etwas zugestoßen ist. Ich habe ihm vorhin gesagt, ich würde sicherlich nur einige Minuten bleiben... “
„Charlotte. “
„Ja? “
„Wenden Sie sich an die Polizei“, drängte er sie leise. „Der Himmel weiß, dass ich nie ein großer Freund dieser Einrichtung war, aber die Männer dort wissen, was in einem Fall wie dem Ihren zu tun ist. Sie werden diesen Schuft finden, der Sie erpresst, und ihn auf Nimmerwiedersehen ins Loch werfen. Und dann haben Sie ein für alle Mal vor ihm Ruhe. “
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, da kann man mir auch nicht helfen. “
„Weshalb? “
Was soll ich ihm darauf antworten? fragte sie sich verzweifelt. Etwa, dass der Mann ihr eigener Vater war? Oder aber, dass Buchan ihr versprochen hatte, sie windelweich zu prügeln, falls sie ihn verriet, und er sich nicht in leeren Drohungen zu ergehen pflegte? Weil er ihrer Familie etwas Schreckliches antun wollte, sollte er das Geld nicht bekommen? Bei der Polizei würde man ihr ernst zuhören, nicken und eine Akte anlegen - und danach nicht das Geringste unternehmen. Auf Londons Straßen gab es Tausende von Männern, auf die Boney Buchans Beschreibung
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