Orphan 2 Juwel meines Herzens
„Teufel, hatte dieses dumme Mädchen ihn gar an die Polizei verraten? Für den Fall durfte er keinesfalls in Seelenruhe hier verweilen und darauf warten, dass man ihn verhaftete. Kein Mensch würde ihm auch nur ein Wort glauben. Wenn er aber auf einmal verschwand und seine Mutter mit den Dienstboten allein ließ, war nicht auszudenken, was geschehen würde. „Wofür genau erbitten Sie denn meine Vergebung, Miss Kent? “ Charlotte schaute ihn hilflos an. Er wirkte gefasst, aber damit konnte er sie nicht täuschen. Ihr eigenes Leben war schwer genug gewesen. Sie fühlte, wenn jemand litt. Die Verzweiflung über dieses grässliche Verbrechen quälte ihn, genau, wie sie erwartet hatte. Dabei war doch eigentlich sie es, die für den Tod von Lady Pembrokes Butler verantwortlich war.
Immerhin hatte sie Lord Bryden förmlich dazu gezwungen, in der letzten Nacht diesen Einbruch zu begehen.
„Ich hätte niemals das Geld von Ihnen verlangen dürfen“, erklärte sie zögerlich. „Aber ich wusste nicht mehr aus noch ein und glaubte, Sie könnten mir helfen. Dabei bin ich keinen Augenblick lang auf den Gedanken verfallen, Sie hätten Schwierigkeiten, an eine solche Summe zu gelangen. “
Überrascht zog er eine Braue hoch, schwieg aber dazu.
„Als Sie mir sagten, Sie besäßen eine solche Summe nicht, war es ein schlimmer Fehler, Ihnen vorzuschlagen, Sie sollten dann eben etwas stehlen, was so viel wert war. Ich habe das alles gar nicht richtig durchdacht. Wahrscheinlich war ich der Meinung, Sie wären ein so geschickter Dieb, dass es Ihnen ein Leichtes wäre! Was bin ich doch nur für eine Närrin und selbstsüchtig obendrein. Jetzt haben Sie meinetwegen einen Menschen getötet! “ Sie schien vollkommen verzweifelt zu sein. „Werden Sie mir das alles je verzeihen? “
Stumm vor Erstaunen stand er da und sah sie nur an. Damit hatte er wahrlich nicht gerechnet. Allerdings tat Miss Kent eigentlich nie, was er erwartete. Erleichtert atmete er leise seufzend aus und beruhigte sich ein wenig.
Offenbar musste er doch noch nicht augenblicklich aus dem Haus fliehen.
„Ich weiß, dass es nicht Ihre Absicht war, den Mann zu töten, Lord Bryden. “ Charlotte betete, er möge endlich etwas sagen. „Ich allein trage die Schuld an allem. Niemals hätte ich Sie in eine Lage bringen dürfen, in der Sie Ihr Leben mit Gewalt verteidigen müssen! “
Entnervt presste Harrison die Zähne aufeinander. Wie sollte er ihr das nur erklären? Schließlich hielt sie ihn für den Schatten. Es war unmöglich, ihr die Wahrheit begreiflich zu machen, ohne ihr Einzelheiten aus seiner unschönen Vergangenheit zu eröffnen. Nein, er hatte zu lange gekämpft, um seine alten Fehler vergessen zu machen, als dass er sich jetzt einer nahezu Unbekannten zu offenbaren gedachte. Außerdem würde sie ihm sehr wahrscheinlich ohnehin nicht glauben.
„Dann darf ich also vermuten, dass Sie mich nicht bei Scotland Yard verraten haben? “ erkundigte er sich trocken.
Verwirrt antwortete sie: „Glauben Sie denn wirklich, ich wäre dazu in der Lage? “
„Es tut mir Leid, falls ich Sie mit meiner Frage verletzt habe. Aber wenn ich mich nicht schrecklich irre, deuteten Sie jüngst an, Sie wollten mich anzeigen, falls ich Ihnen keine fünftausend Pfund besorge. “
„Nein, ich will Sie auf gar keinen Fall im Gefängnis sehen oder gar wegen Mordes vor Gericht. Aber Ihnen ist doch sicher klar, dass Sie nach der letzten Nacht nicht weiterstehlen können? Entweder gibt es sonst neue Opfer, oder man wird Sie schnappen. Kein Juwel der Welt ist einen so hohen Preis wert. “
„Vielen Dank für die Ratschläge, Miss Kent. “
Der Ton klang spöttisch, Brydens Miene aber blieb hart. Offenbar begreift dieser Kerl gar nichts, dachte sie. Zwar kannte er ihre Vergangenheit, aber er konnte sich in seinen kühnsten Träumen nicht ausmalen, wie entsetzlich ein solches Leben war. Himmel, der Mann in seinem luxuriösen Haus besaß ja nicht die leiseste Ahnung, was es bedeutete, ein verurteilter Verbrecher zu sein. Sein Freund Mr. Poole hatte ihr ja angedeutet, dass Bryden nach dem Tod seines Vaters auch schwierige finanzielle Zeiten gekannt hatte. Allerdings war die Familie Bryden noch immer überaus vermögend. Wahrscheinlich hatte er damals gedacht, dass die Lage verzweifelt genug wäre, um Diebstahl zu rechtfertigen.
Charlotte musterte Brydens elegante Kleidung, das vornehm eingerichtete Zimmer und dachte an den eilfertigen Butler. Das alles machte sie plötzlich
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