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Ort des Grauens

Ort des Grauens

Titel: Ort des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Verletzlichkeit rührte zu Furcht. Sein Leben war nur durch die Beziehung zu ihr von Bedeutung, und wenn sie starb, hätte sein Leben seinen Sinn verloren.
    Bobby, Julie immer noch im Arm, lehnte sich zurück und schaute in ihr Gesicht. Die trockenen Blutflecken hatte sie weggewischt. Über der aufgeschürften Stelle auf ihrer Stirn hatte sich bereits ein dünnes gelbes Häutchen gebildet. Die hinter ihr liegende Nervenprobe hatte jedoch mehr Spuren hinterlassen als die Schürfwunde auf der Stirn. Selbst in Momenten wirklich tiefer Angst hätte man niemals sagen können, daß Julie -mit ihrem ständig gebräunten Teint -blaß wirkte. Jetzt aber bemerkte er einen grauen Schimmer, und ihre Haut, die normalerweise an Zimt und Sahne erinnerte, erinnerte nun eher an einen Marmor-Grabstein.
    »Es ist vorbei«, versicherte er ihr, »und wir sind in Ordnung.«
    »In meinen Träumen ist es nicht vorbei. Das wird Wochen dauern.«
    »So etwas wie heute nacht wird nur zu der Legende von Dakota & Dakota beitragen.«
    »Ich will keine Legende sein. Legenden sind tot.«
    »Wir werden lebende Legenden sein, und das wird das Geschäft ankurbeln. Je mehr Aufträge wir erhalten, desto schneller können wir verkaufen und >den Traum< verwirklichen.« Er küßte sie zärtlich auf beide Mundwinkel. »Ich muß in der Firma anrufen, eine lange Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen, damit Clint weiß, was er alles erledigen muß.«
    »Klar. Ich möchte auch nicht, daß das Telefon anfängt zu klingeln, wenn ich eben erst ins Bett gegangen bin.«
    Er küßte sie noch einmal und ging zu dem Wandtelefon neben dem Kühlschrank. Als er die Büronummer wählte, hörte er, wie Julie ins Badezimmer ging. Sie schloß die Tür in dem Moment, in dem das Band des Anrufbeantworters  startete: »Danke für Ihren Anruf. Dakota & Dakota ist leider derzeit nicht besetzt ...«
    Clint Karaghiosis - dessen griechisch-amerikanische Eltern von seinem ersten Auftritt in der Fernsehshow »Rawhide« an Fans von Clint Eastwood gewesen waren - war Bobbys und Julies rechte Hand im Büro. Er wurde mit jedem Problem fertig. Bobby hinterließ ihm einen langen Bericht, faßte die Ereignisse bei Decodyne zusammen und ordnete bestimmte Schritte an, die unternommen werden mußten, um den Fall abzuschließen.
    Nachdem er aufgehängt hatte, ging er hinunter in das kleine Frühstückszimmer, schaltete den CD-Player ein und schob eine Benny-Goodman-Disc ein. Die ersten Noten von »King Porter Stomp« brachten Leben in den toten Raum.
    Wieder in der Küche, nahm er einen Ein-Liter-Karton Eiergrog aus dem Kühlschrank. Sie hatten ihn vor zwei Wochen für ihre stille Silvesterfeier zu Hause gekauft, ihn aber dann nicht geöffnet. Jetzt riß er ihn auf und füllte zwei Wassergläser zur Hälfte.
    Aus dem Bad hörte er Laute der Qual. Sie übergab sich nun doch. Es war ein trockenes Würgen, weil sie seit acht oder zehn Stunden nichts gegessen hatten, aber es klang furchterregend. Während der ganzen Nacht hatte er erwartet, daß sie ihrer Übelkeit schließlich würde nachgeben müssen, und er war überrascht, daß sie sich solange unter Kontrolle gehabt hatte.
    Er holte eine Flasche Rum aus dem Barschrank im Frühstückszimmer und schüttete jeweils einen Doppelten in die beiden Gläser mit dem Eiergrog. Er war gerade dabei, den Rum in den Drinks mit einem Löffel unterzuführen, als Julie zurückkam. Sie wirkte jetzt noch grauer als zuvor.
    »Ich brauch' das nicht«, sagte sie, nachdem sie gesehen hatte, was er tat.
    »Ich weiß, was du brauchst. Ich bin medial veranlagt. Ich wußte, daß du dich würdest übergeben müssen, nach allem, was heute Nacht passiert ist. Jetzt weiß ich, daß du das brauchst.« Er ging zum Ausguß hinüber und spülte den Löffel ab.
    »Nein, Bobby, wirklich, ich kann das nicht trinken.« Selbst die Musik von Goodman schien sie nicht aufheitern zu können.
    »Es wird deinen Magen beruhigen. Und wenn du's nicht trinkst, wirst du nicht schlafen können.« Er nahm ihren Arm, führte sie an der Küchentheke vorbei und brachte sie hinunter ins kleine Wohnzimmer. »Du wirst die ganze Zeit wachliegen, dich um mich sorgen, um Thomas«, Thomas war ihr Bruder, »um die Welt und jeden, der in ihr lebt.«
    Sie setzten sich auf das Sofa, und er knipste keine der Lampen an. Das einzige Licht, das sie erreichte, war das aus der Küche.
    Sie zog die Beine hoch und wandte sich ihm zu, um ihn ansehen zu können. In ihren Augen konnte er die Reflexion einer

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